Seit einiger Zeit tobt eine Debatte darüber, ob und in welchem Umfang unser mit Gebühren finanzierter Medienkonzern SRG im Internet aktiv sein soll, wo sich gleichzeitig naturgemäss auch die privaten Anbieter tummeln. Unter dem Titel «Service public» lässt sich das Internet-Angebot der SRG jedenfalls kaum rechtfertigen. Und es wirft zugleich die grundsätzliche Frage auf, ob sich ein gebührenfinanziertes Radio und Fernsehen überhaupt noch vertreten lässt.

Um diese Frage zu beantworten, muss man wissen, womit gerechtfertigt wurde und wird, dass sich in vielen Ländern der Staat in die Informationsvermittlung mittels Radio und Fernsehen nicht nur einmischt, sondern dass er direkt oder indirekt als Produzent auftritt.

Drei überholte Argumente

Ein erstes, frühes Argument für die Einmischung war technischer und wettbewerbspolitischer Natur. Die Knappheit verfügbarer Frequenzen bei der analogen Technik und die relativ hohen Kosten stellten faktische Marktzutrittsbarrieren dar und behinderten den Wettbewerb. Angesichts der begrenzten Zahl von Sendern sollte eine öffentliche bzw. konzessionierte Anstalt die Programmvielfalt garantieren. Das Argument ist mit dem Aufkommen digitaler Technologien, Kabelnetze und Satelliten jedoch nicht mehr relevant. Frequenzen sind kaum mehr knapp, über das Internet können unendlich viele Programme ausgestrahlt werden.

Ein zweites Argument lautet, die gebührenfinanzierten TV- und Radiosender seien ein probates Mittel gegen billige Unterhaltung, minderwertigen, auf die Präferenzen der Mehrheit ausgerichteten publizistischen Einheitsbrei, schlechte Recherche und ideologische Verzerrung, sowie – spezifisch in der Schweiz – das Auseinanderdriften der Sprachregionen. Doch das Service-Public-Fernsehen weist all diese Tendenzen auch auf. Der technische Fortschritt erlaubt auch im elektronischen Bereich längst Wettbewerb und Informationsvielfalt, die Printmedien belegen, dass es für gute Qualität keine Staatshilfe braucht, und die Sprachbarrieren stellen auch für die SRG grösste Hindernisse dar.

Ein drittes Argument für die Gebührenfinanzierung lautet, dass die von Radio und TV verbreitete Information ein «öffentliches Gut» darstellt. Zuhörer und Zuschauer lassen sich nicht einfach vom Konsum ausschliessen, weshalb die Rundfunkanbieter keinen Preis für ihre Leistungen erheben können. Doch die Technik (etwa Pay TV) hat dieses Argument längst überholt. Ausserdem geben selbst private Anbieter gewisse Produkte wegen der «Zweiseitigkeit» vieler Medienmärkte bewusst gratis ab: Medien sind sowohl eine Plattform für journalistische Information als auch für Werbung. Deshalb bemühen sich die Anbieter um eine Optimierung unter Beachtung beider Märkte. Das beste Beispiel sind die Gratiszeitungen: Die erreichbare Auflagenhöhe bringt auf dem Werbemarkt mehr ein als sich an Verkaufsumsatz auf dem Lesermarkt hereinspielen liesse. Es findet so etwas wie eine Quersubventionierung statt. Als Folge davon erhält der Konsument seine Informationen gratis oder deutlich unter den wahren Kosten. Daraus wiederum folgt, dass mehr Information konsumiert wird als bei Kostenwahrheit.

Verschärfte Interessenkonflikte

Die Digitalisierung und das Internet führen, wie erwähnt, zu einer zunehmenden Integration der Märkte für Print, Radio und TV. Es gibt keine quantitativen Beschränkungen mehr wie im analogen Zeitalter, und der Marktzugang für Private ist einfach. Damit verschärfen sich die Interessenkonflikte. Die SRG war ja immer ein Konkurrent der privaten Anbieter, auf dem Markt der Nachfrager nach Information, auf dem Werbemarkt und auf dem Arbeitsmarkt. Solange sich aber die Privaten auf das gedruckte Wort beschränkten und die SRG auf Radio und Fernsehen, war dies weniger offensichtlich. Die Integration der Märkte lässt nun die verschiedenen Anbieter viel unmittelbarer aufeinandertreffen.

Nirgends wird das so deutlich wie bei den Newsportalen im Internet. Braucht es da das Portal eines staatlich privilegierten Anbieters? Die Antwort lautet: nein, denn es gibt genügend private Angebote, anspruchsvolle wie einfachere, und es herrschen Wettbewerb sowie politische Vielfalt.

Stellt man allerdings die Frage, ob die SRG ein solches Portal braucht, fällt die Antwort anders aus. Solange die Verantwortlichen der SRG die raison d’être ihres Unternehmens nicht in Frage stellen – was sie naturgemäss nicht tun –, werden sie danach streben, «ihrem» Betrieb möglichst hohe Einnahmen zu sichern, nicht nur durch steigende Gebühren und eine bessere Ausnützung des Werbemarktes, sondern eben auch durch Expansion in Bereiche, in denen sich auf dem Markt Geld verdienen lässt. Oder in die Bereiche, in die die SRG-Konsumenten schlicht zunehmend abwandern.

Diese Entlastung der Gebührenfinanzierung durch Einnahmen auf dem Markt ist so oder so problematisch, denn die SRG kämpft dank staatlichen Privilegien mit längeren Spiessen. Sie liesse sich aber eher rechtfertigen, wenn damit ausgeprägt ein Programm querfinanziert würde, das Private nicht anbieten würden, also Service Public im besten Sinn des Wortes.

In Tat und Wahrheit besteht aber deutlich mehr als die Hälfte des SF-Angebots aus Unterhaltung wie Shows, Sport, Filme, Serien oder Musik. Im Internet bietet die SRG neben geschriebenen News Zusatzleistungen wie Online-Games oder Blogs an. Dies dürfte sich nicht einmal mit dem leider viel zu weit gefassten Artikel 93 der Bundesverfassung rechtfertigen lassen, gemäss dem man auch Unterhaltung zum Service Public zählen kann (siehe Kasten).

Mehr Freiheit für die SRG

Letztlich gibt es eben nur zwei konsequente Strategien. Im einen Fall entlässt man die SRG in die Freiheit des Marktes. Dann muss es ihr erlaubt sein, mit gleichlangen Spiessen im Wettbewerb mit anderen ihr Geld zu verdienen und dazu in alle möglichen Richtungen zu expandieren. Privilegien der Finanzierung darf es dann jedoch nicht geben.

Im anderen Fall sieht man die SRG weiterhin als Anbieterin eines für die Öffentlichkeit unverzichtbaren, von Privaten nicht angebotenen Gutes an, was eine öffentliche Finanzierung rechtfertigt, wie mit der Ausdehnung der Gebührenpflicht auf alle Haushalte und Unternehmen endgültig deutlich gemacht würde.

Dieses Privileg auf der Finanzierungsseite muss aber nicht nur aus Gründen der Fairness mit einer Einschränkung der Marktfreiheit kompensiert werden, sondern auch, weil der ordnungspolitische Verstoss sonst eine Kettenreaktion auslösen kann und man am Schluss womöglich bei einer staatlichen Stützung privater Medien landet.

Doch welches könnten Restriktionen für eine privilegierte SRG sein? Ein Verbot der Internetwerbung stösst auf grosse Abgrenzungsprobleme und ist zudem zweischneidig: die Attraktivität eines werbefreien Newsportals könnte nämlich den privaten Anbietern die Benutzer (User) abspenstig machen und als Folge davon die Werbeeinnahmen schrumpfen lassen.

Ein relativ schwacher Hebel wäre die Begrenzung der SRG-Ausgaben bzw. -einnahmen. Angesichts des überdurchschnittlichen Anstiegs der Gebühren in der Vergangenheit wäre schon eine Indexierung restriktiv, eine absolute Begrenzung erst recht. Das würde die Zahlungsbereitschaft der SRG für Sportrechte oder Stars etwas bremsen – was durchaus erwünscht wäre.

Einigen Reiz besitzt das, was in Grossbritannien als Public Value Test und in Deutschland als Drei-Stufen-Test bekannt ist. Dabei wird bei neuen Leistungen die Gretchenfrage gestellt, ob es sich bei ihnen um einen Service Public handelt und ob sie Marktverzerrungen bewirken. Würde man diesen Test auch auf bestehende Leistungen anwenden – und zuvor den erwähnten Artikel 93 überarbeiten –, könnten Musikantenstadel und Skirennen wohl nicht mehr als Service Public gelten.

Zwei radikale Lösungen

Es gibt auch noch weiter gehende Lösungen, die auf der Überzeugung beruhen, dass man zwar genau zwischen Service public und «normalen» Märkten unterscheiden muss, aber nicht unbedingt staatsnahe Betriebe als Emittenten braucht. So könnte die SRG vor dem Hintergrund der fortschreitenden Konvergenz von TV und Internet sowie des vermehrt zeitversetzten Konsums zu einem reinen Produzenten von Service-Public-Inhalten werden. Diese würde sie kostenlos und diskriminierungsfrei den privaten Plattformen zur Verfügung stellen. Die Weiterverbreitung wäre dann deren Sache.

Die konsequenteste Lösung wäre aber, auf eine öffentliche Fernsehanstalt ganz zu verzichten, die SRG also zu einem rein privaten Unternehmen zu machen. Gleichzeitig müsste der Staat über eine entsprechende Agentur all das, was man als Service Public gerne dem Volk bieten möchte, bei privaten Produzenten von Programminhalten bestellen und es dann den Stationen gratis oder besonders günstig abgeben.

Die derzeitige Aufteilung zwischen Privat und Öffentlich im Mediensektor ist weder tragbar noch haltbar – vor allem, weil die Digitalisierung die Medienlandschaft fundamental umgepflügt hat und weiter umpflügt. Das macht eine fundamentale Überprüfung des Service-Public-Gedankens im Bereich der elektronischen Medien nötig.

Es gibt eigentlich kaum einen Bereich der Wirtschaft, in dem es so besonders wichtig ist, dass Produktion und Verbreitung – im Rahmen einer staatlich festgelegten Ordnung – privat erfolgen, wie gerade im Medienbereich.

Man könnte etwas ketzerisch fast sagen, es sei weniger tragisch, wenn der Staat Nescafé oder Möbel produziere, als wenn er in der Information als Produzent mitmische. Deshalb sollte man die Abgrenzung des Service Public in der Information besonders eng vornehmen – deutlich enger als bisher.

Dieser Artikel erschien im «Tages-Anzeiger» vom 3. November 2011.