Der Titel mag in vielen Ohren wie ein Missverständnis – oder eine Provokation – tönen. Sieht man von den totalitären Phasen des Nationalsozialismus und des (International-)Sozialismus ab, sind die Liberalen noch selten einmal so im Gegenwind gestanden wie heute. Und ausgerechnet in einem solchen Umfeld soll Liberalismus eine Überlebensstrategie für Zeitungen sein! Was also ist gemeint, wenn hier eine liberale Grundhaltung geradezu als Erfolgsgeheimnis einer publizistischen Strategie gepriesen wird? Es gibt mehrere gute Gründe, warum es liberale Zeitungen braucht und warum sie sehr wohl ein aussichtsreiches Geschäftsmodell darstellen können.

Liberale Nachfrage

Der Markt für liberale Inhalte ist – erstens – zwar nicht riesig, aber er ist durchaus nicht vemachlässigbar. Die Marktwirtschaft zeichnet (im Gegensatz zur Demokratie) aus, dass es in ihr Platz für Nischenplayer hat. 15 Prozent Liberale gibt es wohl in jeder Gesellschaft – und noch einige mehr, die sich zumindest für eine liberale Sicht der Dinge interessieren, selbst wenn sie diese Sicht nicht teilen. Damit haftet liberaler Publizistik wohl fast unweigerlich etwas leicht Elitäres an, aber schliesslich ist die Luxusgüterindustrie ja auch ein boomendes Geschäft, warum soll es die «Industrie » der Luxuspublizistik nicht auch sein?

Liberaler Erklärungsbedarf

Zweitens war der Erklärungsbedarf für liberales Gedankengut wohl kaum einmal so gross wie heute. Liberales Denken ist alles andere als leicht verständlich und eingängig. Die meisten Menschen neigen aber dazu, wirtschaftliche Zusammenhänge auf relativ einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu reduzieren. Die Finanz und Wirtschaftskrise ist ein prächtiger Nährboden für «terribles simplificateurs» und für die Jagd auf Sündenböcke. Liberale Publizistik hat da eine grosse und schwierige Aufklärungspflicht – über den engeren Kreis der Liberalen hinaus.

Liberale Antworten

Drittens braucht es liberale Auswege aus dem Schlamassel, in dem die Weltwirtschäft steckt. Da sind natürlich die Tüchtigsten und Klügsten unter den Denkern und Forschern gefragt, aber es braucht daneben auch eine entsprechende publizistische Begleitung. Hauptursache der Krise war der Staat mit seiner unrealistischen und unsoliden Finanzpolitik, aber auch mit falschen Rahmenbedingungen für den Finanzsektor. Sie haben in der Finanzbranche zu grossen Irrungen und Wirrungen bis hin zum schamlosen Eingehen grösster Risiken und zur Aushebelung des zentralen liberalen Prinzips der Haftung geführt. Jenen, die nun am liebsten die Marktwirtschaft zu Grabe tragen möchten, gilt es, auch in den Medien, mit liberalen Reformvorschlägen entgegenzutreten. Diese Reformen verlangen eher eine Rückbesinnung auf liberale Prinzipien wie Wettbewerb, Privateigentum, Haftung und Selbstverantwortung als eine Überwindung dieser Prinzipien. Dies zu vermitteln, ist eine vornehme Aufgabe liberaler Medien.

Liberaler Dialog

Das führt über zum vierten und unter kommerziellen Aspekten vielleicht wichtigsten Punkt: Zum liberalen Selbstverständnis gehören das Interesse an anderen Meinungen, die Auseinandersetzung mit den verschiedensten Denkrichtungen und Positionen, der respektvolle Dialog mit Andersdenkenden. Deswegen werden wirklich liberale Zeitungen nie dogmatisch, einseitig und langweilig sein, sie werden über unterschiedlichste Ideen und Vorstösse berichten und sie werden vor allem immer einen ebenso ernsthaften wie lebhaften Dialog über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg pflegen. Damit werden sie auch für Andersdenkende interessant sein.

Liberaler Kompass

Dieser offene Dialog darf aber fünftens nicht verwechselt werden mit jener Beliebigkeit, die heute oft fälschlicherweise mit Liberalismus gleichgesetzt wird. Liberale Publizistik verspricht dann Erfolg, wenn sie von einem klaren Kompass gesteuert ist. Viele Menschen suchen Orientierung, und eine solche klare Positionierung muss weder undifferenziert noch dumm sein, sie muss aber Schlüsse ziehen und sich nicht mit einem blossen «einerseits anderseits» begnügen. Für Klarheit gibt es auf dem Lesermarkt durchaus eine Nachfrage. Nur ein klarer Kompass erlaubt es zudem den Journalisten, die Geschehnisse einzuordnen. Sie müssen über einen soliden Kriterienkatalog verfügen, also über das, was man eine liberale Grundhaltung nennen könnte, um rasch und treffsicher urteilen zu können. Der Pragmatismus, der gerne einer solchen weltanschaulichen Wertung gegenübergestellt wird, ist in der Regel nichts anderes als Opportunismus. Der liberale Kompass ist ferner wichtig für einen offenen Dialog mit anderen Meinungen. Nicht die Haltung des «anything goes» ist dafür der beste Ratgeber, sondern das selbstreflektierende Wissen um die eigene Position. Nur wer eine klare Position hat, kann sie seinem Gegenüber entsprechend kommunizieren, kann Gemeinsamkeiten und Gegensätze erkennen.

Schliesslich ist ein transparent gemachter liberaler Kompass auch für die Nutzer von Zeitungen von grossem Wert. Ist ihnen dieser Kompass bekannt, wissen sie sofort, welche Abstriche sie an einem Kommentar, einem Leitartikel und selbst einem Bericht (der ja ebenfalls nie ganz wertfrei sein kann) machen müssen, damit der Text für sie wertvoll und nachvollziehbar bleibt. So genannte Unabhängigkeit, die das ganze weltanschauliche Spektrum abdeckt, suggeriert demgegenüber eine Neutralität, die sie nicht leisten kann, und sie lässt damit die Leserinnen und Leser im Ungewissen über die allgemeine Grundhaltung einer Zeitung.

Liberale Unabhängigkeit

Zum liberalen Verständnis gehören sechstens auch gewisse handwerkliche Grundsätze des Umgangs mit den Informanten und mit der Leserschaft. Sich nicht von seinen Informanten missbrauchen und manipulieren zu lassen, muss das Ziel jedes guten Journalismus sein. In diesem Sinne ist Unabhängigkeit eine unabdingbare Ingredienz nicht nur liberaler Publizistik, sondern jeglicher verantwortungsvoller Ausübung dieses Berufs. Ausserdem gilt es, die schwierige Balance zwischen kritischer Distanz und verständnisvoller Nähe zu finden. Dafür braucht es nicht nur Rückgrat, sondern auch Kompetenz, denn ohne sie wird man Informationen entweder übertrieben kritisch interpretieren, um sich nur ja nicht einlullen zu lassen, oder man wird sich eben doch vereinnahmen lassen, weil man gar nicht merkt, wo die Manipulationen passieren.

Eine liberale Publizistik zeichnet sich ferner bei aller kritischer Grundhaltung gegenüber Institutionen und Personen dadurch aus, dass sie nicht in Häme und billige Hetzjagd abgleitet, sondern den Respekt wahrt. Kampagnenjournalismus ist ebenso wenig Ausdruck einer besonders liberalen Publizistik wie jener Enthüllungsjournalismus, der seine Aufgabe hauptsächlich darin sieht, Dinge ans Licht zu ziehen. Solche Zurückhaltung wird zwar auf dem Markt nicht immer honoriert, dürfte sich aber längerfristig durchaus auszahlen.

Man mag einwenden, dass einige dieser Ausführungen mit umgekehrten Vorzeichen auch auf eine völlig gegensätzliche, linke Publizistik zutreffen. Das gilt in der Tat vor allem für die klare Positionierung, den Kompass. Er kann auch anders geeicht sein als bei Liberalen. So steht denn letztlich hinter diesen Überlegungen die Überzeugung, dass es trotz der Beobachtung einer vermehrt apolitischen und technokratischen Gesellschaft so etwas wie einen Markt für Überzeugungen gibt. Auf diesem Markt kann man sehr wohl und weiterhin Geld verdienen – wenn man es mit liberalen Ideen tut, umso besser.

Dieser Artikel erschien in der Aargauer Zeitung vom 9. November 2011.