Seit über 10 Jahren streiten Deutschland und die Schweiz über die Anflugrouten für den Flughafen Zürich. 2001 hatte Deutschland nach Ablehnung eines bereits ausgehandelten Staatsvertrags durch den Ständerat einseitig Überflugbeschränkungen erlassen. Dadurch wurde ein Teil des Verkehrs von der dünnbesiedelten Nordanflugschneise auf die östlichen und südlichen Routen umgelenkt und betrifft nun Gebiete mit deutlich höherer Bevölkerungsdichte. Bei dem umgeleiteten Verkehr handelt es sich ausgerechnet um Flüge in den lärmsensiblen Tagesrandzeiten und am Wochenende.

Die Argumentationslinie der Schweiz gegenüber Deutschland ist stichhaltig: Neue Messungen zeigen, dass auf deutscher Seite kein Anwohner über den in Deutschland gültigen Lärmgrenzwerten von 59 Dezibel belästigt wird. Kein einziger Südbadener wird gar mit mehr als 54 db beschallt, auf Schweizer Seite sind es hingegen 86‘000 Personen. Man könnte also die Zahl der Lärmbetroffenen deutlich reduzieren, wenn man mehr Flüge über die Nordschneise abwickeln würde. Eine schöne Pointe der Argumentation: Eine Umlenkung von Flügen über Norden würde im Grossraum Zürich mehr Deutsche (Migranten) vom Lärm entlasten, als in Südbaden zusätzlich belastet würden.

Warum also fordert der deutsche Verkehrsminister jetzt sogar noch eine Reduktion der Nordanflüge von jährlich 105‘000 auf 80‘000? Der Grund für dieses vermeintlich irrationale Verhalten liegt in der Natur des Flughafenstreits, denn es handelt sich um einen klassischen NIMBY-Konflikt («not in my backyard»). Wie bei anderen Infrastrukturen auch, gibt es ein geographisches Auseinanderklaffen von Kosten und Nutzen: Während für die Gesamtbevölkerung die Kosten-Nutzen-Bilanz positiv ist, überwiegen in den Einflugschneisen meist die Kosten in Form von Lärm den persönlichen Nutzen. Entsprechend vehement kämpfen die Anwohner für eine Umverteilung des Lärms zu ihren Gunsten.

Drei Viertel aller Anflüge auf Zürich werden noch immer über die Nordroute abgewickelt. Zu verlangen, dass die Südbadener 90% oder gar 100% der Anflüge tragen sollten, da die Region doch dünn besiedelt und der Lärm gering sei, scheint wenig vielversprechend. Die gleiche Logik ist schliesslich auch im innerschweizerischen Flughafenkonflikt immer wieder gescheitert. Ein Parallelpistensystem beispielsweise – das den Lärm räumlich konzentrieren und die Zahl der Lärmbetroffenen reduzieren würde – wird durch die Zürcher Kantonsregierung kategorisch abgelehnt. Auch auf eidgenössischer Seite gibt es einen unerbittlichen Streit zwischen Nordschneisern, Südschneisern und Ostschneisern.

Ein Lösungsansatz für die NIMBY-Problematik besteht in Kompensationszahlungen – um Kosten und Nutzen der Infrastruktur besser zur Deckung zu bringen. Mögliche Zugeständnisse der Schweiz gegenüber Deutschland wären etwa die Finanzierung grenznaher Infrastruktur (z.B. Elektrifizierung der Hochrheinbahn) oder eine Ausdehnung des Agglomerationsprogramms Schaffhausen nach Südbaden. Solche von der Schweiz vorgeschlagenen «Paketlösungen» wurden jedoch bisher von deutscher Seite zurückgewiesen. Auch das ist typisch für bereits eskalierte NIMBY-Konflikte. Vielleicht aber wurde von Schweizer Seite einfach noch nicht genügend Verhandlungsmasse in die Waagschale geworfen.

Avenir Suisse analysierte 2009 den Konflikt um den Flughafen Zürich und seine tieferliegenden Ursachen in der Studie «Nationale Infrastruktur im föderalen Geflecht».

Dieser Artikel wurde auch in den «Schaffhauser Nachrichten» vom 11. Februar 2012 publiziert.