Die von der Wirtschaft finanzierte Stiftung Avenir Suisse räumte eine grundsätzliche Kritik gleich von vorne weg aus dem Weg. «Wir wollen den Service public nicht abschaffen, sondern nur verbessern», sagte Avenir-Suisse-Chef Gerhard Schwarz gestern in Bern. Anlässlich der Buchvernissage «Mehr Markt für den Service pubic» betonte Schwarz die Bedeutung des Service public für die Schweizer Wirtschaft: Sein Anteil am Bruttoinlandprodukt betrage 14 Prozent, bei den Beschäftigten seien es 17 Prozent.

Studienautor Urs Meister – er ist im Kader von Avenir Suisse – kommt zum Schluss, dass der Service public mehr Wettbewerb und privatwirtschaftliches Engagement brauche. Trotz eingeleiteter Liberalisierung gebe es bei der Infrastrukturversorgung in der Schweiz wenig Markt und Konkurrenz. «Die vom Staat unter dem Titel Service public erbrachten Leistungen sind häufig zu breit gefasst und gehen über die Korrektur eines Marktversagens hinaus», schreibt Meister.

Anhand der Bereiche Post, Telekommunikation, Rundfunk, Energie, öffentlicher Verkehr und Spitäler untersucht Meister wettbewerbliche Verzerrungen. Die Branchenanalysen sind in der über 300-seitigen Publikation die interessantesten Beiträge – auch wenn sie keine neuen Erkenntnisse enthalten, liefern sie doch eine vertiefte Standortbestimmung der einzelnen Sektoren in der Frage der Marktöffnung. Grundsätzlich kommt Meister zum Schluss, dass «in der Schweiz halbe Marktöffnungen dominieren», wie er gestern sagte. Gerade dies sei eher schädlich als nützlich. Während im Telekommarkt die Öffnung am weitesten fortgeschritten sei, gebe es bei den Spitälern und dem Schienenverkehr viel Nachholbedarf.

Die Professoren Helmut Dietl (Zürich), René L. Frey (Basel) und Robert Leu (Bern) verfassten wichtige Kapitel im Buch. Die Studie begnügt sich nicht mit Beschreibungen. Die Autoren liefern auch Vorschläge, wie mehr Wettbewerb erreicht werden könnte, teilweise mit allen Wenn und Aber.

Wie ein ökonomisches Lehrbuch

Bis der Leser jedoch auf die interessanten Branchenanalysen trifft, muss er sich durch zahlreiche ökonomische Begriffserklärungen durchkämpfen – es sei denn, er überspringt den ersten Teil. Begriffe wie Marktversagen, natürliche Monopole, externe Effekte oder öffentliche Güter erklärt Meister in verständlicher Sprache, teilweise illustriert anhand konkreter Beispiele. Service public beschreibt er als eine Leistung der Grundversorgung. Sie wird als flächendeckende Bereitstellung von Infrastrukturen und Dienstleistungen umschrieben, denen ein spezielles öffentliches Interesse zukommt. Meister kritisiert, dass die begriffliche Unschärfe Interpretationsspielraum eröffne. «Definition und Finanzierung des Service public werden zum Spielball von Interessengruppen wie Gewerkschaften oder öffentlichen Unternehmen.»

Dieser Artikel erschien in «Der Bund» vom 24. Februar 2012.