Schon längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern, und von allen Seiten – Finma, Nationalbank, OECD – wird gewarnt: Wenn sie nicht schon Tatsache ist, so sind wir doch mindestens auf dem Weg in die Immobilienblase. Viele Interessenten stehen seit Jahren an der Seitenlinie und warten darauf, dass die Hauspreise endlich sinken. Sie sehen ihre Zeit bald gekommen. Mutige Neueigentümer berichten gleichzeitig von einer ganz anderen Realität: Mit etwas Eigenkapital und einer lang laufenden Festhypothek haben sie eine Wohnung gekauft und frohlocken. Gemäss ihrer Rechnung sparen sie während Jahren ein Drittel ihrer Wohnkosten, und dies angeblich ohne nennenswertes Risiko. Wie geht das zusammen? Stehen die Ampeln auf Rot, oder wird die Blase von aufgeregten Medien und übereifrigen Regulatoren herbeigeredet? Zuwarten oder kaufen? Die ökonomische Theorie erweist sich gerade in einem solchen Dilemma als hilfreiches Denkraster. Ökonomisch betrachtet sind die Hauspreise auf dem «richtigen» Niveau, wenn ein Gleichgewicht zwischen Käufer- und Mietmarkt herrscht, d. h., wenn beide Wohnformen aus Sicht des Nutzers gleich teuer sind. Während beim Mieten «nur» der Mietzins anfällt und auf drei Monate gekündigt werden kann, ist der Kaufentscheid viel schwieriger zu bewerten. Denn er betrifft die Zukunft. Zu fragen ist nach den langfristigen Kapitalkosten als Eigentümer. Diese sind nur teilweise objektiv festzumachen. Sie werden auch von Erwartungen und Risikopräferenzen beeinflusst. Unerheblich ist, ob dabei die Kosten als effektive Ausgaben anfallen.

Hohe Nebenkosten

Zuerst sind die Zinskosten zu berücksichtigen, zum einen der nicht erzielte Ertrag einer alternativen (risikoarmen) Anlage der Eigenmittel, zum andern der Hypothekarzins. Der Immobilienwert unterliegt Schwankungen, dafür ist eine individuelle Prämie einzusetzen, die den Besitzer für das übernommene Risiko entschädigt. Weiter ist an die Haltekosten der Liegenschaft zu denken. Der wichtigste Posten ist der Erneuerungsfonds, dazu kommen der laufende Unterhalt sowie alle Gebühren, die beim Besitzer anfallen. Auch bei bestem Unterhalt verliert eine neue Immobilie an Wert, denn Grundrisse und Stile können mit der Zeit aus der Mode kommen. Deshalb muss mit Abschreibungen gerechnet werden.

All diesen Kosten steht die erwartete Aufwertung des Bodens gegenüber sowie ein zumeist kleiner Steuervorteil. Die Summe aller Kostenteile ergibt die Kapitalkosten des Besitzens. Die Unterschiede zeigen sich in der Haltung der Besitzer, nennen wir die Archetypen «vorsichtig» und «optimistisch». Sie interessieren sich für eine Wohnung zum Preis von 780’000 Franken und bringen 20 Prozent Eigenkapital ein.

Die Jahresmiete (ohne Nebenkosten) eines identischen Objektes beträgt 30 000 Franken. Das Verhältnis von 26 Jahresmieten zum Kaufpreis entspricht der aktuellen Bewertung für Immobilien an mittlerer Lage. Der «Vorsichtige» geht von einem deutlichen Zinsanstieg aus, glaubt aber nicht an eine weitere Aufwertung. Für das Preisrisiko will er mit jährlich 2 Prozent des Objektwerts entschädigt werden.

Unterschiedliche Risikoprämien

Der Optimist veranschlagt nur wenig steigende Zinsen. Zudem werden die Immobilienpreise gemäss seiner Einschätzung weiterhin mit durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr ansteigen. Als Optimist gibt er sich mit einer kleineren Risikoprämie zufrieden.

Das Resultat: Für den «Vorsichtigen» erscheint der Kauf unattraktiv, er hält den Markt für überbewertet. Seine Rechnung ergibt Jahreskosten von 54’000 Franken, weit mehr als die Mietkosten von 30 000 Franken. Für ihn ist der Immobilienmarkt tatsächlich überbewertet. Der «Optimist» veranschlagt hingegen jährliche Kosten von nur 24’000 Franken. Er wird also kaufen.

Fazit dieser Betrachtungen: Die Kosten des Besitzes sind weit höher als gedacht. Insbesondere machen die Hypothekarzinsen auch bei hoher Belehnung nur knapp die Hälfte der wahren Kosten aus. Diese hängen erheblich von der Beurteilung der Zukunft und der Risiken ab und sind darum nicht eindeutig. Man kann also in guten Treuen zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen der Lage kommen. Auch die Frage nach der Immobilienblase lässt sich nicht eindeutig beantworten. Der «neutrale» Käufer kann an vielen Lagen noch immer kaufen. Nur: Die Zeit der Schnäppchen ist aber wohl vorbei.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 20. April 2012.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.