Reussebene bei Altdof Kanton Uri, Bild: reportair.ch

Reussebene bei Altdorf UR (© reportair.ch)

National- und Ständerat haben am 15. Juni als indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative eine Teilrevision des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG) beschlossen. Es herrscht ein breiter Konsens, dass das 30 Jahre alte Gesetz gegen die voranschreitende Zersiedlung keine ausreichende Handhabe bietet. So fanden sich in der Schlussabstimmung komfortable Mehrheiten in beiden Räten. Selbst die Kantone – denen durch die Revision striktere Vorgaben gemacht werden – stellten sich deutlich hinter den Entwurf. Zudem wurde die Landschaftsinitiative bedingt zurückgezogen, sodass eine breit abgestützte Lösung in Sicht ist. Deshalb ist es unverständlich, wenn nun da und dort über ein Referendum nachgedacht wird.

Die Steuerung der Siedlungsentwicklung ist die zentrale Herausforderung der Schweizer Raumplanung. Seit Inkrafttreten des RPG im Jahr 1980 wuchs die Schweizer Bevölkerung um 1,5 Millionen; das entspricht durchschnittlich 50‘000 Personen pro Jahr. Derzeit liegt das jährliche Wachstum gar bei 70‘000 Personen. Somit muss – über die Schweiz verteilt – Jahr für Jahr eine Stadt in der Grössenordnung St. Gallens neu gebaut werden.

Landschaft wird knapp

Das Mittelland entwickelt sich zu einer durchgehenden Agglomeration und Landschaft wird zu einer knappen Ressource. Der haushälterische Umgang mit Boden ist zwar als Raumplanungsziel in der Verfassung verankert, aber dem RPG gelang es nur unzureichend, den starken Siedlungsdruck landschaftsverträglich zu kanalisieren.

Ein wichtiger Grund sind die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen in der Qualität ihrer Raumplanung. Dies zeigt eine Vergleichsstudie von Avenir Suisse von 2010 («Kantonsmonitoring Raumplanung zwischen Vorgabe und Vollzug»). Während etwa Zürich oder Bern über griffige Regelwerke verfügen, gibt es in Kantonen wie Glarus oder dem Wallis kein funktionierendes Instrumentarium zur Steuerung der Siedlungsentwicklung. Schlimmer noch: Bei wichtigen Vorgaben des Bundesrechts gibt es in vielen Kantonen und Gemeinden Vollzugsdefizite, etwa bei der Bauzonendimensionierung. So sind die Bauzonenreserven im Wallis 3-4 mal so gross wie nach Bundesrecht erlaubt. Auch in der Waadt haben zwei Drittel aller Gemeinden mehr als doppelt so grosse Bauzonenreserven wie im RPG vorgesehen.

Bei diesen Defiziten setzt der Gegenvorschlag an: die Siedlungen sollen kompakt gehalten, gezielt nach innen verdichtet und in ihrer Ausdehnung begrenzt werden. Die Regeln zur Bauzonendimensionierung werden verbindlicher gefasst. Bevor die Kantone neue Einzonungen vornehmen, sollen sie zunächst Massnahmen zur Baulandmobilisierung ergreifen. Dort wo weit über den erwarteten Bedarf für 15 Jahre hinaus eingezont worden ist, sollen Rückzonungen vorgenommen werden. Finanziert werden soll dies durch eine Abschöpfung des Planungsmehrwerts bei Neueinzonungen von mindestens 20%. Zudem sollen die Bauzonen künftig über die Gemeindegrenzen hinweg abgestimmt werden, was insbesondere in den Agglomerationen von Bedeutung ist.

Ausgewogen und zielführend

Die Vorlage wirkt konsistent und konzentriert sich auf das Wesentliche. Sie bringt nicht zusätzliche Planungsbürokratie, sondern will hauptsächlich das bestehende Bundesrecht in elementaren Punkten verbindlicher fassen – und weitverbreiteten Vollzugsdefiziten einen Riegel vorschieben. Für Kantone, die bereits eine griffige Raumplanung praktizieren, bedeutet die RPG-Revision kaum Anpassungsbedarf. Nur Kantone, die ihrer Steuerungsaufgabe in der Siedlungsentwicklung bisher nicht ausreichend nachgekommen sind, werden zu Korrekturen gezwungen. Die beschlossene RPG-Revision ist sicher nicht perfekt, aber sie stellt ein ausgewogenes und zielführendes Gesamtpaket dar.

Auch aus taktischen Gründen wäre ein Referendum gegen die RPG-Revision unklug, denn damit würde der bedingte Rückzug der Landschaftsinitiative hinfällig. Käme diese aber zur Abstimmung, hätte sie wohl reelle Chancen an der Urne – die Annahme der Zweitwohnungsinitiative oder der Kulturlandinitiative im Kanton Zürich sollten Warnung genug sein. Und selbst im ländlichen Thurgau wurde soeben eine Mehrwertabgabe mit 65% Ja-Stimmen angenommen.

Das Ergreifen des Referendums wäre eine Eskalation, die genau jenen Kantonen zum Vorteil gereichte, die sich in der Vergangenheit nicht an Bundesrecht gehalten haben, und jenen unter Umständen deutlich schadete, die ihre raumplanerischen Hausaufgaben gemacht haben. Was Wunder dass ausgerechnet das Wallis noch kurz vor der Schlussabstimmung im Parlament massiv gegen die RPG-Revision lobbyierte und nun ein Referendum provozieren möchte. Das Wallis hat von allen Kantonen die am stärksten überdimensionierten Bauzonen (ein Drittel der Bauzonen ist noch nicht überbaut). Der Gegenvorschlag würde solche Kantone dazu zwingen, kantonsintern eine Lösung für die Rückzonung überschüssiger Bauzonen zu finden. Sie müssten also für ihre Versäumnisse selber gerade stehen. Bei einer Annahme der Landschaftsinitiative hingegen – die die Gesamtfläche der Bauzone in der Schweiz für 20 Jahre konstant halten möchte – könnten Kantone mit zu kleinen Bauzonen nur noch neues Bauland ausscheiden, wenn sie quasi Einzonungsrechte aus Kantonen mit überschüssigen Reserven «einkauften». Die viel zu grossen Bauzonen in Kantonen wie dem Wallis wären plötzlich Gold wert; sie würden zu einer neuen Quelle von Transfers aus dem Unterland.

Aus Sicht dieser Kantone ist eine Eskalation somit erstrebenswert, denn sie könnten sowohl mit dem Status quo als auch mit der Landschaftsinitiative deutlich besser leben als mit dem Gegenvorschlag. Dem stehen allerdings die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Kantone gegenüber, die sich in der Vergangenheit an die Regeln des RPG gehalten haben (z.B. BE, BS, GE, GR, SG, SZ, TG, ZG, ZH). Diese könnten mit dem Gegenvorschlag gut leben, wären jedoch die Leidtragenden bei einer Annahme der Landschaftsinitiative. Entsprechende Risiken birgt für sie ein Referendum.

Dieser Artikel erschien in der «Finanz und Wirtschaft» vom 23. Juni 2012.