Kari Kälin: Daniel Müller-Jentsch, der Gewerbeverband (SGV) sieht im revidierten Raumplanungsgesetz einen Angriff auf das Eigentum und ergreift das Referendum. Teilt Avenir Suisse als liberale Denkfabrik die Bedenken des SGV?

Daniel Müller-Jentsch: Nein, wir verstehen die Sorgen des Gewerbes, trotzdem halten wir die Gesetzesrevision von der Stossrichtung her für sinnvoll. In einer Vergleichsstudie zur Raumplanung haben wir festgestellt, dass die Kantone das eidgenössische Raumplanungsgesetz aus dem Jahr 1980 sehr unterschiedlich handhaben. Einige Kantone, etwa das Wallis und mehrere Westschweizer Kantone, halten sich nicht hinreichend an die bundesrechtlichen Vorgaben. Die Zentralschweizer Kantone bewegten sich bei unserem Ranking im Mittelfeld. Avenir Suisse plädiert deshalb dafür, das Raumplanungsgesetz in elementaren Bereichen griffiger auszugestalten. Diese Anliegen nimmt der indirekte Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative auf. Die Vorlage fand nicht nur die Zustimmung vom Bundesrat und eine Mehrheit im Parlament, sondern geniesst auch bei den Kantonen eine breite Unterstützung.

Wird Land neu eingezont, muss der Landbesitzer 20 Prozent des Mehrwertes dem Staat abliefern. Das ist doch ein Angriff auf das Eigentum.

Wird Landwirtschaftsland Bauland, steigt der Wert eines Quadratmeters über Nacht von 10 auf 300 bis 1500 Franken. Dieser Mehrwert entsteht durch einen staatlichen Planungsakt, nicht durch eine wertschöpfende Handlung des Eigentümers. Durch solche Neueinzonungen entsteht jedes Jahr ein Planungsmehrwert von rund 2 Milliarden Franken, von dem nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, meistens Landwirte, profitiert. Aus liberaler Sicht ist es legitim, einen Teil dieses Mehrwerts abzuschöpfen, zumal die Allgemeinheit auch jene Personen voll entschädigen muss, deren Bauland rückgezont wird.

Das revidierte Raumplanungsgesetz sieht Rückzonungen von überdimensionierten Baulandreserven vor. Diese Landeigentümer werden plötzlich mit einer massiven Wertminderung konfrontiert. Das scheint problematisch.

Zur Entschädigung eben dieser Landbesitzer wird ja ein Teil des Mehrwerts, der bei der Einzonung von neuem Bauland entsteht, abgeschöpft. Zunächst muss man aber festhalten, dass die überdimensionierten und fehlplatzierten Bauzonen die wohl grösste Altlast der schweizerischen Raumplanung sind. Auf bereits eingezontem, aber noch nicht überbautem Land liessen sich heute weitere 1 bis 2 Millionen Einwohner unterbringen.

Wo liegt das Problem?

Diese Baulandreserven befinden sich dummerweise meist in peripheren Lagen. Überbaut man diese Flächen ausserhalb der Zentren, fördert das erstens die Zersiedelung und führt zweitens zu hohen Folgekosten. Die Infrastruktur – Stichwort «Strassen» und «öffentlicher Verkehr» – müsste weiter ausgebaut werden, um die Pendlerströme zu bewältigen. Ökonomisch wäre es daher sinnvoll, die Bauzonen dorthin zu verschieben, wo sie gebraucht werden, nämlich in die Zentren. Das revidierte Raumplanungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Der Gewerbeverband spricht von «Zwangsüberbauung der Grundstücke innert bestimmten Fristen», weil die neuen Bauzonen gemäss Raumplanungsgesetz innerhalb der nächsten 15 Jahre überbaut werden sollen. Ein berechtigter Einwand?

Ziel ist es, eingezontes Bauland in angemessener Frist dem Bodenmarkt zuzuführen. Es geht nicht um einen Zwang gegenüber den Eigentümern, sondern um eine Vorgabe an die Kantone, Anreize gegen die Baulandhortung zu setzen. Es handelt sich meiner Meinung nach um eine sinnvolle Frist.

Droht der Bodenpreis nicht in die Höhe zu schnellen, wenn der Staat letztlich – wie im neuen Gesetz geplant – viel mehr Land auszont als einzont?

Nein. Rückgezont werden soll eh nur dort, wo das Bauland im Überfluss vorhanden ist und die Preise entsprechend tief sind. Auch das revidierte Raumplanungsgesetz erlaubt Kantonen und Gemeinden, genügend Bauland für den erwarteten Bedarf der nächsten 15 Jahre vorzuhalten. Sobald diese Reserven aufgebraucht sind, dürfen sie neues Land einzonen. Es wird also immer genug Bauland zur Verfügung stehen. Die Rückzonung der überdimensionierten Reserven wird deshalb nicht zu höheren Bodenpreisen führen – zumal, wenn sie mit Massnahmen zur Baulandmobilisierung verknüpft wird.

Im Kanton Wallis regt sich massiver Widerstand, die CVP Unterwallis droht mit Abspaltung von der CVP Schweiz, wenn die CVP Schweiz das Referendum bekämpft. Ihre Reaktion?

Diese Reaktion war in der Tat zu erwarten. Im Wallis herrschen bei der Raumplanung massive Defizite. Der Kanton verfügt über kein funktionierendes Instrumentarium zur Steuerung der Siedlungsentwicklung. In keinem anderen Kanton sind die Bauzonen dermassen überdimensioniert. Sie sind drei- bis viermal so gross, wie es das alte Bundesrecht erlaubt. Während andere Kantone ihre Hausaufgaben in der Vergangenheit erledigt haben, kann man dies vom Kanton Wallis leider nicht behaupten. Graubünden etwa zonte in den Achtzigerjahren 1000 Hektaren Land aus und hat heute rechtskonforme Bauzonen.

Das Problem:

In der Schweiz wird pro Sekunde ein Quadratmeter Grünfläche verbaut. Das entspricht rund zehn Fussballfeldern pro Tag. Ein Problem ist dabei auch der Föderalismus. Raumplanung ist heute vor allem Sache der Gemeinden und Kantone. Der Bund kann keine verbindlichen Ziele formulieren.

Die Initiative:

Die Landschaftsinitiative, hinter der diverse Umweltverbände stehen, will die Gesamtfläche der schweizerischen Bauzonen für die nächsten 20 Jahren auf dem heutigen Stand einfrieren. Der Bundesrat kann in begründeten Fällen Ausnahmen gewähren. Die Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit dem Boden soll neu eine Verbundaufgabe des Bundes und der Kantone sein.

Die Alternative:

Der Gegenvorschlag, der im Parlament eine Mehrheit fand, nimmt die Anliegen der Landschaftsinitiative auf. Bei neuen Einzonungen wird eine Mehrwertabgabe von mindestens 20 Prozent des entstehenden Mehrwertes fällig. Damit werden auch Verkleinerungen von überdimensionierten Bauzonen finanziert. Zudem werden an kantonale und kommunale Richtpläne erhöhte Anforderungen gestellt.

Wie weiter?

Tritt der Gegenvorschlag (das revidierte Raumplanungsgesetz) in Kraft, ziehen die Initianten ihre Initiative zurück. Doch jetzt hat der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) das Referendum gegen die Gesetzesrevision ergriffen. Kommt das Referendum zu Stande und wird die Revision abgelehnt, werden die Stimmbürger anschliessend über die Landschaftsinitiative befinden müssen.

Dieses Interview erschien in der Neuen Luzerner Zeitung vom 27. Juni 2012.