Noch ist die Schweiz das am stärksten industrialisierte Land der Welt. Kann sich der Werkplatz aber auch behaupten, wenn aufgrund der globalen Schuldenkrise und Wachstumsschwäche die Schweiz zum sicheren Hafen wird, also der Franken noch stärker unter Aufwertungsdruck gerät? Avenir Suisse, zu Unrecht als «Hort der Finanzwirtschaft» und «Veranstaltung der Grossindustrie» angeschaut, wie Direktor Gerhard Schwarz betonte, lud zu einem Abendlichen Gespräch ein, um diese Frage zu klären. Einige hundert Meter entfernt sang derweil der Held der amerikanischen Working Class im Letzigrund-Stadion vom «Wrecking Ball», der die Industrie der USA abwrackt.

Nur noch über Preis diskutieren

«Die Realwirtschaft ist uns ebenso wichtig wie der Finanzplatz, wenn nicht wichtiger», unterstrich Gerhard Schwarz. Unter den gut hundert Förderern von Avenir Suisse stellen die KMU die grosse Mehrheit. Wie es ihnen geht, erklärten Christoph Ruetschi, CEO der Ruetschi Technology AG in Muntelier FR, und Silvan G.-R. Meier, Präsident und CEO der Walter Meier AG in Zürich. Ruetschi Technology, ursprünglich Zulieferer für die Uhrenindustrie, entwickelt jetzt vorwiegend Komponenten für die Medizinaltechnik, wie Wirbelsäulen- oder Zahnimplantate. Die High-Tech-Kompetenz zähle angesichts des Preisdrucks und der daraus folgenden Konsolidierung in der Branche kaum mehr, sagte Christoph Ruetschi: «Früher diskutierten wir nie über den Preis, jetzt nur noch.» Der Firmenchef erzählte von der Visite beim strategischen Einkäufer eines US-Konzerns, der ihn mit «Sorry, Chris, what are you doing for us?» begrüsste: «Das Einzige, was er wusste, war: Der Preis ist zu hoch.»

Jobs nach Deutschland?

Er sehe «Zeichen, dass die Konzerne Jobs aus der Schweiz abziehen», mahnte Christoph Ruetschi. Das bestätigte Silvan G.-R. Meier aufgrund der eigenen Herausforderungen. Das Importgeschäft mit Heizungen oder Maschinen laufe immer noch gut, einmal abgesehen davon, dass die Kunden wegen des schwachen Euro Rabatte forderten, sodass kaum noch Marge bleibe. Im Export aber gehe es schlecht, gar «brutal», nicht nur wegen des starken Frankens, sondern auch wegen der schwächelnden Nachfrage in Europa. Die einzige Lösung: «Die Zulieferer austauschen.« Und in einer zweiten Phase müsste er die Montage auslagern: «Man muss im Vergleich mit Deutschland gar nicht rechnen – die Preise liegen so weit auseinander.» Die Deutschen lieferten «ehrlicherweise vergleichbare Qualität», räumte Christoph Ruetschi ein. Ein Kurs von 1.20 Franken pro Euro, wie ihn die Nationalbank verteidigt, sei deshalb das absolute Minimum; darunter müsste die Industrie ihre Produktion verschieben: «Man muss nicht mehr nach Ungarn gehen, auch Deutschland oder Frankreich bieten günstige Bedingungen.»

Sympathisches Jammern

Unter der Frankenstärke und der Schuldenkrise in Europa litten auch viele Hoteliers, vor allem ausserhalb der Zentren von Business oder Tourismus, berichtete Guglielmo L. Brentel, Präsident von Hotelleriesuisse. Einige Destinationen gewännen aber auch in neuen Märkten; so reisten Chinesen günstig nach Europa und gönnten sich dabei auch einen teuren Abstecher in die Schweiz. «Ein Premium-Produkt braucht aber Premium-Dienstleistungen und -Investitionen», mahnte der Präsident der Hoteliers. Seine Branche fordere nicht nur einen angemessenen Frankenkurs – «Im Tourismus dürfte die Wahrheit bei 1.40 liegen» –, sondern mehr noch den Abbau des Agrarschutzes, der die Hotellerie jährlich 1,1 Mrd. Franken koste: «Im Jammern sind die Bauern aber wirklich gut – und sie jammern erst noch sympathisch.»

Auf Untergrenze verlassen

Was aber geschieht mit dem Franken, wenn Europa wirklich in Währungswirren versinkt? «Die Unternehmer können sich auf die Untergrenze verlassen», betonte Georg Rich, Honorarprofessor in Bern und ehemals Chefökonom der SNB. «Es gibt gar keine Alternative.» Die Nationalbank könne die Untergrenze immer verteidigen: «Ich sehe das Problem nicht.» Das bekräftigte auch Tobias Straumann, Privatdozent für Wirtschaftsgeschichte in Zürich und Basel: «Mir ist es lieber, die Risiken sind bei der SNB als in der Realwirtschaft.» Im Notfall müsse die Nationalbank Kapitalverkehrskontrollen einführen: «Dieses Währungssystem ist nicht überlebensfähig – wir müssen deshalb jede Massnahme prüfen.»

«Die Wirtschaft ist nicht so gut»

Serge E. Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im Seco und eben zum Direktor der Finanzverwaltung gewählt, argumentierte derweil ökonomisch. Die SNB habe die Untergrenze auf einem Niveau festgelegt, auf dem der Franken deutlich überbewertet sei; je stärker die Überbewertung, desto weniger drohe Inflation. Immer noch zeige sich die Wirtschaft robust, vor allem wegen des Baubooms aufgrund der Einwanderung, der noch etwa zwei Jahre anhalte. Die Abschwächung trete aber deutlich zutage. «Unsere Wirtschaft ist nicht so gut, dass der starke Franken gerechtfertigt ist», schloss Serge E. Gaillard daraus. «Die SNB kann deshalb die Untergrenze halten.» Und wenn nicht? «Wir halten der Schweiz die Treue», versicherte Christoph Ruetschi. «Notfalls gehen wir mit dem Standort unter.»