Das Zusammenspiel zwischen Demografie und Wachstum hat Ökonomen früh beschäftigt. Am bekanntesten ist die These des Thomas Robert Malthus aus dem Jahre 1798. Laut ihr verläuft das Bevölkerungswachstum geometrisch, während die Nahrungsmittelproduktion nur arithmetisch wächst. Deswegen müsse es zur Verelendung (in seinen Worten: «misery» and «vice») und «natürlichen» Schrumpfung der Bevölkerung kommen. Spuren des malthusianischen Denkens finden sich in vielen düsteren wachstumskritischen Publikationen der Neuzeit über Umwelt, Rohstoffe und Klima.

Die Schweizer werden älter

Öfter als der negative wurde jedoch in der Ideengeschichte der positive Zusammenhang thematisiert, etwa von den Merkantilisten. Gemäss dieser Sicht ist Bevölkerungswachstum eine Quelle von Wohlstand und Fortschritt. Das war richtig, solange man die Macht eines Landes, eines Staates, ja eines Herrscherhauses im Visier hatte. Wenn die Zielgrösse aber das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf (und sein Wachstum) ist, sieht die Sache anders aus. Modernere Studien betonen vor diesem Hintergrund etwas anderes, nämlich einen hohen Anteil der Erwerbsbevölkerung als wichtigen Wachstumstreiber.

Anteil Rentner an der kantonalen Gesamtbevölkerung und reales BIP-Wachstum

Vereinfacht gesagt: Eine junge Bevölkerung im Erwerbsalter bringt Leistung, Dynamik, Innovation und somit Wohlstand für alle. Je älter eine Bevölkerung bzw. je höher der Anteil der Rentner ist, umso weniger wächst sie. Diese Korrelation lässt sich etwa für die Präfekturen Japans zeigen, deren BIP in den letzten zehn Jahren mit Ausnahme von Okinawa durchwegs gesunken ist, zum Teil um 15% und mehr. Sie trifft aber, abgesehen vom Ausreisser Basel-Stadt, auch auf die Kantone der Schweiz zu (vgl. Grafik 1).

Die Alterung wird hier anhand des Anteils der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung gemessen. Je mehr dieser steigt, umso stärker sinkt bei gleichbleibendem Rentenalter der Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter, also jener Teil, der die Wertschöpfung erwirtschaftet. Man kann natürlich auch das Durchschnittsalter der Wohnbevölkerung als Indikator nehmen. Dieses hat sich in den letzten vierzig Jahren (vgl. Grafik 2) um mehr als sechs Jahre auf knapp über 41 erhöht. Dabei ist die ausländische Wohnbevölkerung deutlich jünger und drückt den Altersdurchschnitt um immerhin fast zwei Jahre nach unten, das heisst, die Ausländer haben auch die Alterung gebremst; die Schweizer allein wären heute im Schnitt um fast sieben Jahre älter als Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, und ohne Einbürgerungen wäre diese Alterung noch ausgeprägter.

Schrumpfendes Deutschland

Wenn Jugendlichkeit ein Wachstumstreiber ist, hat die Migration der Schweiz Wachstum gebracht, und sie hat dazu beigetragen, dass die Schweiz für europäische Verhältnisse eine relativ junge Nation ist – mit einem Durchschnittsalter von 41,4 Jahren ähnlich jung wie Österreich (41,5) und fast drei Jahre jünger als Deutschland (44,2 Jahre). Vor allem aber lässt die Zuwanderung die wirtschaftliche Zukunft in einem deutlich weniger düsteren Licht erscheinen als etwa in Deutschland.

Weil der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung dort wegen der Alterung in den nächsten zwanzig Jahren von heute 65% auf voraussichtlich 57% sinken wird, erwartet das Institut der deutschen Wirtschaft Köln eine Verlangsamung des jährlichen Pro-Kopf-Wachstums auf 1%, während es für die deutlich jüngeren USA mit einem Wachstum von bis zu 2% rechnet. Da gemäss Prognosen der Uno die Alterung in Deutschland mit einer Schrumpfung der Bevölkerung (um geschätzte 16% bis 2050) einhergehen wird, während die Bevölkerung der USA um etwa einen Drittel wachsen dürfte, wird die relative Stärke des wirtschaftlich wichtigsten europäischen Landes gegenüber den USA massiv zurückgehen.

In der Schweiz dagegen wächst dank Zuwanderung nicht nur die Bevölkerungszahl. Das Land hält sich mittels Migration auch relativ jung. Es muss daher weder um den Verlust seiner relativen Position in der westlichen Welt und erst recht nicht in Europa bangen, noch muss es jenen Wohlstandsverlust befürchten, den Japan schon zwei Jahrzehnte lang durchlebt. Japan hat nie die geringe eigene Fertilität durch Zuwanderung ausgeglichen und so die Alterung und die Schrumpfung gebremst. Die Schweiz hat mit ihrer Offenheit einen klügeren Weg eingeschlagen. Sie muss nur die Folgen der Zuwanderung etwa in der Raumordnung, bei der Infrastruktur oder auf dem Wohnungsmarkt in den Griff bekommen. Das ist möglich. Dann wird die – wenn auch sehr relative – Jugendlichkeit der Schweizer Bevölkerung helfen, den Wohlstand auch in Zukunft zu sichern.

Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 25. August 2012.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.