Die Bedrohung der offenen Gesellschaft kommt heute nicht mehr von Sozialismus oder Nationalsozialismus, sondern von neuen «Ismen». Dies stellte Gerhard Schwarz in einem Referat fest, das er zum Abschluss des Jahrestreffens der Mont Pelerin Society in der Prager Burg im September hielt. Zu diesen neuen Ismen gehören auch Pragmatismus und Transparentismus:

Pragmatismus: Fortschreiten ohne Kompass

Ideengeschichtlich reicht der Pragmatismus bis ins 19. Jahrhundert zurück. Doch auch wenn in der (wirtschafts-)politischen Auseinandersetzung Pragmatismus eingefordert wird, dann ist damit nicht das vor allem von Charles S. Pierce formulierte Ideengebäude gemeint. Unter dem Titel des Pragmatismus, der gleichzeitig gerne als Gegenposition zu einer ideologischen Haltung verstanden wird, opponieren nicht zuletzt Politiker jeglicher Couleur gegen eine halbwegs konsistente, auf die Gestaltung der Ordnung  gerichtete Politik. Ludwig Erhard hat diese Art von Pragmatismus schon sehr früh mit kraftvollen Worten gegeisselt und als Gefahr  für eine liberale Ordnung erkannt:  «Wer nicht mehr weiter weiss, wer vor Entscheidungen zurückschreckt, der gilt heute vielfach als klug und wird dazu noch als fähiger Politiker gewertet, wenn er ‘pragmatisch’ handelt, d.h. dem Zufall des Augenblicks Rechnung trägt. Den Pragmatikern folgen auf dem Fuße die blossen Opportunisten und schliesslich auch noch die überhaupt gesinnungslosen Konformisten.» (Erhard, 1988, S. 1046).

Da Pragmatiker oft auch auf der Seite der Freiheit stehen, ist ihre Wankelmütigkeit, ihr Fehlen eines liberalen Kompasses nicht sofort ersichtlich. Ihnen geht es um die Lösung von Problemen. Sie wollen die Probleme vom Tisch haben – ob dabei die Freiheit gefährdet wird, ist ihnen gleich. Und noch in einem anderen Sinne sind sie für die freie Ordnung gefährlich: Pragmatiker sind beseelt von einem grossen Machbarkeitsglauben und haben deshalb wenig am Hut mit der fast agnostischen liberalen Position, dass wir bezogen auf Wirtschaft und Gesellschaft nur wenig wissen und gestalten können.

Transparentismus: Einschränkung der Privatheit

Durchaus freiheitsgefährdend ist, auch wenn das viele Libertäre anders sehen mögen, nach meiner Auffassung der Ruf nach fast totaler Transparenz – überall und zu jeder Zeit. Wie man diese Tendenz sprachlich in einen Ismus giessen kann, weiss ich nicht – aber die Tendenz ist da. Selbst beim Staat ist diese Forderung nach immer noch mehr Transparenz problematisch. Erst recht problematisch ist sie aber mit Blick auf Privatpersonen. Die Privatsphäre der Bürger wird mit der Begründung der öffentlichen oder nationalen Sicherheit oder schlicht des öffentlichen Interesses immer mehr eingeschränkt. Dies führt zu einer schleichenden Entwicklung des Staates zum «Big Brother» und zur Einschränkung der Privatheit, diesem Sauerstoff der Freiheit (Schwarz, 2003, S. 11-19).

Es mag nicht eine «deformation professionelle», sondern eine «deformation helvétique» sein,  und ganz sicher ist es völlig gegen den herrschenden Mainstream, wenn ich die Ansicht vertrete, dass ein Bankkonto nur seinen Eigentümer etwas angeht, sonst niemanden, ganz sicher nicht die Steuerbehörden. Selbstverständlich sollen diese einen Bürger zwingen können, seine Bank-Informationen offenzulegen, wenn ein wohlbegründeter Verdacht auf einen schweren Rechtsverstoss besteht. So wird es ja bei anderen Vergehen auch gehalten. Aber die Attitüde, der gläserne Bürger sei nur für jene ein Problem, die nichts zu verbergen hätten, ist eines freien Staates nicht würdig. Sie ist abgrundtief von der Vorstellung geprägt, der Bürger sei suspekt und müsse daher ständig, auch ohne spezifischen Verdacht, seine Unschuld beweisen. Mit einer freien Gesellschaft geht diese Umkehr der Beweislast nicht zusammen.

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