In keinem vergleichbaren Land hat die individuelle Altersvorsorge eine so grosse Bedeutung wie in der Schweiz. Das soll so bleiben – aber unser Land braucht dringend wieder eine Debatte, wie sich das angeschlagene Pensionskassensystem für die künftigen Generationen sichern lässt.

Am 7. März 2010 kam es in der schweizerischen Sozialpolitik zu einem jähen Erwachen: Mit einem von niemandem erwarteten Nein-Anteil von knapp 73 Prozent lehnte das Volk die Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule der Altersvorsorge ab. Die Abstimmung fand in einem ausgesprochen ungünstigen Umfeld statt. Die Irrungen und Wirrungen um das Bankgeheimnis und die Managersaläre nach der Finanzkrise brachten die Stimmbürger auf. Leider erkannten aber viele nicht, dass sie mit dem Beibehalten des unhaltbaren Umwandlungssatzes nicht die „Abzocker“ bestraften, sondern sich selbst.

Die Altersvorsorge in der Schweiz gilt weiterhin als vergleichsweise sicher. Das verdankt sie vor allem dem hohen Anteil der individuellen Vorsorge, besonders im Berufsleben (2. Säule), den die Grafik zeigt. Das (Zwangs-)Sparen in den Pensionskassen ist deshalb beizubehalten. Allerdings braucht das System dringend Reformen, damit es solid bleibt und auch den künftigen Generationen zugute kommt. Nach dem Debakel in der Volksabstimmung getraut sich niemand mehr, diese Debatte zu führen. In einem Papier, das sich von der Website von Avenir Suisse herunterladen lässt („Altersvorsorge auf dem Prüfstand“), zeigen Alois Bischofberger und Rudolf Walser deshalb auf, wie die Diskussion laufen sollte.

Was zu diskutieren ist

  1. Bei den laufenden Reformen darf es keine Rückschritte geben. Die Regulierungswelle in der Altersvorsorge und besonders bei der 2. Säule muss gestoppt werden. Vor allem dürfen die neuen Bestimmungen nicht in die falsche Richtung gehen, also die Komplexität und Intransparenz noch erhöhen. Die zu Recht beklagten hohen Kosten bei der Verwaltung der 2. Säule sind nicht zuletzt eine Folge des engen regulatorischen Korsetts.
  2. Die Kassen müssen ein prozyklisches Anlageverhalten vermeiden. Weil sie einen Deckungsgrad von 100 Prozent aufweisen müssen, damit sie ihre Verpflichtungen jederzeit erfüllen könnten, lassen sich die Anlagen nicht langfristig ausrichten und dadurch bessere Renditen erzielen. Wenn die Börsenwerte einbrechen, wie in der Finanzkrise, müssen die Kassen im ungünstigsten Moment ihre Titel verkaufen, obwohl sich die Börsen oft schnell erholen.
  3. Der Mindestzinssatz und der Umwandlungssatz dürfen nicht mehr von der Politik festgelegt werden. Beide Grössen liessen sich rein technisch festlegen, aufgrund des Wachstums der Wirtschaft und der Entwicklung des Altersaufbaus der Bevölkerung. Beim Mindestzinssatz müssen wir uns auf eine längere Phase mit tiefen Zinsen einstellen, deshalb sollten wir auf die Festlegung dieses Satzes im Gesetz verzichten. Und die Höhe des Umwandlungssatzes dürfen allein die Lebenserwartung der Versicherten und die auf den Altersguthaben erzielbaren Renditen bestimmen. Zu hohe Leistungen für die Rentner von heute höhlen die Kassen auf Kosten der Rentner von morgen aus.
  4. Das Pensionskassensystem muss mehr Klarheit schaffen. Es gilt aufgrund von Skandalen jetzt als „institutionalisierter Selbstbedienungsladen“ (NZZ am Sonntag). Das Vertrauen der Versicherten kann es nur zurückgewinnen, wenn beim Verwalten, aber auch beim Bewerten der Pensionskassenvermögen Transparenz herrscht.
  5. Der Wettbewerb bei der beruflichen Vorsorge ist zu stärken. Die heutige Konstruktion der 2. Säule lässt wenig Spielraum für individuelle Entscheide. Deshalb ertönt seit längerem der Ruf nach mehr Freiheit für die Versicherten. Gefordert wird einerseits ein grösserer individueller Spielraum bei der Wahl von Vorsorgeprodukten und anderseits die freie Wahl von Vorsorgeeinrichtungen. Die Diskussion über diese Fragen ist wegen der Vermögenseinbussen in der Finanzmarktkrise verstummt – das Papier von Avenir Suisse will sie wieder anregen.