In wenigen Ländern verkaufen sich Smartphones oder iPads so gut wie in der Schweiz, und in wenigen
Städten arbeiten so viele Informatiker wie in Zürich. Im globalen Examen, wie sich die Staaten auf dem
digitalen Netz entwickeln, bekommt die Schweiz aber mässige Noten.

Eigentlich gilt das Schweizer Mittelland als das Silicon Valley Europas. Vor allem Zürich bietet sich als ausgezeichneter Standort an, das beweist immerhin der IT-Gigant Google, der seine Schweizer Niederlassung zu einem weltweit führenden Forschungszentrum ausbaut. Im Kanton Zürich arbeiten 41’000 Personen in 3700 Betrieben der Informatik- Branche, knapp die Hälfte davon in der Stadt. Insgesamt sorgen sie für eine Bruttowertschöpfung von 5,2 Milliarden Franken im Jahr.

Trotz dieser ausgezeichneten Ausgangslage schneidet die Schweiz aber mässig ab, wenn international die Offenheit für Informationstechnologie verglichen wird. Das britische Wirtschaftsmagazin «Economist» untersucht seit zehn Jahren die «E-Readiness» der Staaten, also die Frage, ob bzw. wie gut sie für die digitale Welt von morgen vorbereitet sind. «Unser Ranking erlaubt es Regierungen, den Erfolg ihrer IT-Initiativen an jenem anderer Länder zu messen», schreiben die Autoren. «Und es gibt jenen Unternehmen der Informations-, Kommunikations- und Telekommunikationsindustrie einen Überblick, die weltweit die vielversprechendsten Orte für ihre Investitionen suchen.»

Quelle: Economist Intelligence Unit: Digital economy rankings 2010

Die Schweiz als Absteiger

Inzwischen, meinen die «Economist»- Analysten, sind alle verglichenen Staaten für die E-Gesellschaft und die E-Wirtschaft bereit. Sie bezeichnen ihre Studie deshalb jetzt einfach als «Digital Economy Rankings». Darin vergleichen sie die Staaten auch anhand neuer Kriterien, so vor allem der Verfügbarkeit von Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetzen. Das führte dazu, dass einige asiatische Länder, die stark in die nächste Generation der Internet-Infrastruktur investieren, wie Taiwan (12), Südkorea (13) und Japan (16), auf der Rangliste vorrückten. Und dass europäische Länder bei der Beurteilung Punkte einbüssten. So verlor das jahrelang führende Dänemark seinen Spitzenplatz an Schweden, weil es von 8,87 auf 8,41 Punkte sank. Und den zweitgrössten Abstrich musste die Schweiz hinnehmen, die 2009 mit 8,15 Punkten auf dem 12. Platz stand und jetzt mit 7,72 Punkten noch auf den 19. Platz kommt und hinter Österreich (15. Platz / 7,88 Punkte) und Deutschland (18. / 7,80) knapp vor Frankreich (20./ 7,67) figuriert.

Die Grafik zeigt die Stärken und die Schwächen der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern. Was das Geschäftsumfeld angeht, also Wirtschaftspolitik, Handelsbeziehungen, Steuern und Arbeitsmarkt, weist sie in Europa mit 8,33 Punkten immer noch den besten Wert auf, weltweit nur hinter Singapur (8,63) und gleichauf mit Kanada (8,33). Aber bei der Verfügbarkeit und beim Einsatz von modernster Informatik und Telekommunikation schneidet unser Land nur mässig ab, deutlich schlechter als vergleichbare Staaten. So liegen bei der Vernetzung Schweden (8,20), die Niederlande (8,05) und Finnland (8,00) vor der Schweiz mit 7,80 Punkten. Und selbst beim Gebrauch müssen sich die als technophil geltenden Schweizer mit 7,65 Punkten noch von den Franzosen mit 8,10 Punkten geschlagen geben.

Vision für die Politik gefragt

Die deutlichsten Einbussen erleidet die Schweiz aber bei der Vision und der daraus abgeleiteten Politik der Regierung, wo die Analysten die Strategie für die EGesellschaft und für das E-Government oder die Verfügbarkeit von Dienstleistungen auf dem Web beurteilen: Hier erhält die Schweiz nur 6,80 Punkte, deutlich weniger als Südkorea (9,20), Schweden (8,90) oder sogar Slowenien (7.6o). «Eine Regierung braucht eine Agenda», sagt deshalb Xavier Comtesse, der Directeur romand von Avenir Suisse. Er fordert einen grundlegenden Wandel in der Schweiz, damit sie nicht nur ein ausgezeichneter Standort für Informatiker bleibt, sondern eine zukunftsfähige E-Gesellschaft wird.

Ist unser Land bereit für den Wandel?

In unserer Gesellschaft spielt die Informations-, Kommunikations- und Telekommunikationsindustrie (IC1) eine besondere Rolle. Sie ist nicht nur ein eigenständiger Sektor mit Unternehmen wie beispielsweise Logitech, sondern auch eine Industrie; dank der alle anderen Sektoren ihre Produktivität erhöhen, wenn etwa Firmen ihre Prozesse mit SAP steuern. Die ICT-Industrie hat jedoch noch eine dritte Dimension: Sie kann in anderen Wirtschaftssektoren zu einem tiefgreifenden Wandel führen. Denken wir nur an die Musikindustrie, die wegen der MP3-Player nicht nur ein völlig neues Business-Modell einführte, sondern auch den Markteintritt von dominanten Akteuren wie Apple erlebte. Wir dürfen also den «transformationalen» Charakter der ICT nicht länger ausser Acht lassen. In der Schweizer Wirtschaft zeigt er sich darin, dass die Bio-Informatik eine Umwälzung für die Pharma-industrie bedeutet, dass das E-Banking, wie es etwa Swissquote anbietet, den Rnanzsektor tiefgreifend verändert und dass ricardo.ch sowie LeShop.ch den Handelvon Grund auf emeu- Ist unser Land bereit für den Wandet? em. Wenn wir in der Schweiz eine wirkliche E-Economy aufbauen wollen, reichen die traditionellen Rahmenbedingungen nicht mehr aus. In einem «transfomtationalen» Umfeld kommt es nicht nur auf die Kompetenzen an, sondern auch auf die Einstellung und nicht nur auf die Infrastruktur, sondern auch auf ein Ökosystem, in dem Forschung und Entwicklung dank «Crowd-sourcing» vom Schwarm der Freizeittüftler wahrgenommen werden und in dem sich die Konsumenten zu mitdenkenden «Consum- Actors» entwickeln. Diese Umwälzungen finden zwar zuerst in den Unternehmen statt. Doch die Gesellschaft als Ganzes muss den Wandel mitmachen, auch die politischen Institutionen. Dazu brauchen wir eine grundlegende Anpassung unserer Strukturen und unseres Bildungssystems letztlich also unserer gesamten Rahmenbedingungen. Nur so kann sich der Wirtschaftsstandort Schweiz weiterentwickeln.

Dieser Artikel erschien in der Zürcher Wirtschaft vom 14. April 2011