Michael Brunner: Als Avenir-Suisse-Vertreter sind Sie wohl überzeugt, dass die Entwicklung im Mittelland und nicht in den Bergen stattfindet. Olympia 2022 hin oder her.

Daniel Müller-Jentsch: Richtig ist, dass Avenir Suisse immer wieder auf die Bedeutung der Metropolitanregionen hingewiesen hat. Dort werden auf nur zehn Prozent der Landesfläche 60 Prozent der Schweizer Wertschöpfung erbracht. Wir beschäftigen uns aber auch mit dem Strukturwandel im Berggebiet und der Frage, wie man dort Voraussetzungen für Wachstum schaffen kann.

Was für Potenzial sehen Sie?

Neben dem Tourismus spielt die Energiewirtschaft eine Rolle, die Land- und Forstwirtschaft oder die Erzeugung regionaler Produkte. In einigen Gebieten des Wallis und Graubündens gibt es kleinere Industriezentren. Für die Zukunft gibt es kein Patentrezept, jede Region muss auf Basis ihrer eigenen Stärken und Schwächen massgeschneiderte Strategien entwickeln. Matchentscheidend wird sein, wie der Strukturwandel im Tourismus bewältigt wird.

Olympiapromotoren versprechen sich von der Kandidatur, dass diese Antworten für das künftige Leben in den Bergen liefern kann. Ist das realistisch?

Das muss sich noch zeigen. Die Gefahr besteht, dass Olympische Spiele nur ein kurzfristiges Feuerwerk für die Baubranche bringen. Wenn die Olympiabewerbung jedoch richtig aufgegleist wird, kann sie auch Impulse für den nachhaltigen Strukturwandel in Graubünden bringen. Den übrigen Berggebieten könnten sie als Versuchslabor für neue Ideen dienen.

Hauptsächlich profitieren werden mit St. Moritz und Davos renommierte Tourismusorte. Randregionen gehen leer aus. Ist das nicht ein Problem?

Es macht unabhängig von den Olympischen Spielen durchaus Sinn, auch in den Bergen die Regionalzentren zu stärken. Mit begrenzten Mitteln, etwa bei öffentlichen Investitionen, lässt sich dort der grösste Wachstumseffekt erzielen. Diese Zentren können dann ausstrahlen, wovon die ganze Region profitiert.

Für periphere Täler ist das wenig tröstlich. Was soll aus diesen werden?

Der Kanton Graubünden hat bereits 2009 Pionierarbeit geleistet mit einer Strategie für «potenzialarme Räume». Ziel ist es, realistische Strategien zu entwickeln, um Schrumpfungsprozesse zu steuern beziehungsweise eine Stabilisierung der Gebiete zu erreichen. Dazu zählen Tourismus-Resorts wie etwa in Andermatt, der Aufbau von Regionalparks mit Angeboten im sanften Tourismus sowie Lösungen zur Bereitstellung von Infrastruktur und Service public in dünn besiedelten und entlegenen Gebieten.

Doch ist es sinnvoll, dass die Berggebiete weiterhin fast alles auf den Tourismus setzen? Immerhin verdient diese Branche heute kaum Geld?

Zahlreiche andere Bereiche wie der Einzelhandel oder das Baugewerbe sind stark vom Tourismus abhängig. Der Tourismus wird daher in 20 bis 30 Jahren zwar ganz anders aussehen, für die Berggebiete aber noch immer sehr wichtig sein.

Welche Entwicklungen erwarten Sie?

Den klassischen Skifahrer wird es zwar noch geben, aber in viel kleinerer Zahl als heute. Die Nachfrage wird sich auffächern, gefragt sein werden etwa Wellness oder Angebote für ältere Besucher. Auch die neuen Kunden aus China oder Indien haben andere Bedürfnisse. Tourismusorte müssen sich darauf ausrichten und ihre Nische suchen. Nicht jeder kann alles gleich gut, es bedarf klarer Destinationsstrategien.

Welche Rolle wird der Sommertourismus spielen?

Er ist wichtig für die gleichmässigere Auslastung über das Jahr. Gerade für tiefer gelegene Orte, die aufgrund des Klimawandels weniger schneesicher sind, ist er zentral.

Verlieren die Ferienhäuser nach dem Ja zur Zweitwohnungsinitiative ihre wirtschaftliche Bedeutung?

Das Modell, ständig neue Zweitwohnungen zu bauen, war sowieso nicht nachhaltig. Künftig müssen Zweitwohnungen klug bewirtschaftet, also vermietet werden. Ein bisher wenig erschlossenes Potenzial sind die Zweitwohnungsbesitzer. Sie sind meist überdurchschnittlich wohlhabend, gebildet, vernetzt und gleichzeitig emotional mit «ihrer» Bergregion verbunden. Diese Leute muss man verstärkt gewinnen: Sei es nach der Pensionierung als ständige Bewohner. Sei es als Investoren oder Impulsgeber für die Entwicklung des Berggebietes.

 Dieser Artikel erschien in «Der Landbote» vom 16.01.2013.