Die Schweiz hat ein demographisches Problem: Das Verhältnis der Anzahl Pensionierter zur Anzahl Erwerbstätiger steigt rapide zugunsten der älteren Bevölkerung an. Diese Entwicklung birgt vielerlei Probleme. Die Kosten der Altersvorsorge steigen (bei gleichzeitig geringeren Beiträgen), für die Wirtschaft zeichnet sich ein Mangel an Arbeitskräften ab, und es stellt sich für einen steigenden Anteil an Rentnern die Herausforderung, sich in ein soziales und wirtschaftliches Gefüge einzugliedern, das heute vor allem auf die erwerbstätige Bevölkerung ausgerichtet ist. Der unflexible Ausschluss älterer Menschen aus dem Arbeitsprozess steht in starkem Kontrast zu folgenden Tatsachen: Viele ältere Menschen wünschen sich eine Weiterführung ihrer Tätigkeit, es droht ein Fachkräftemangel, und nicht zuletzt dient eine längere Eingliederung in den Arbeitsprozess nachweislich der geistigen und körperlichen Fitness und trägt damit zu geringeren Gesundheitskosten bei.

Abhilfe schaffen kann nur ein Paradigmenwechsel: die Totalflexibilisierung des Rentenalters ab 65 Jahren (mit individuellen Lösungen zur Frühpensionierung) und die Einführung von Altersarbeit. Die beiden Massnahmen führen zu einer Lockerung der finanziellen Engpässe in der Altersvorsorge, zum Erhalt von qualifizierten Arbeits kräften und zu einer deutlich besseren sozialen Eingliederung älterer Menschen.

Erstens soll das Rentenalter total flexibilisiert werden. Der Bezug einer Altersrente ist ab 65 möglich, kann aber beliebig verzögert werden. Wie im heutigen Modell teilweise vorgesehen (bis 70), bleibt, wer es wünscht und einrichten kann, im Arbeitsprozess und bezahlt Sozialabgaben auf seinen Lohn. Der Rentenaufschub kommt hauptsächlich dem Betroffenen zugute – in der 2. Säule direkt und ausschliesslich (Erhöhung Alterskapital und Umwandlungssatz), in der 1. zu einem Teil (Erhöhung Rente), bei gleichzeitiger Entlastung des AHV-Fonds.

Eine Flexibilisierung des Rentenalters allein wird die beschriebenen Probleme aber nicht lösen. Zu viele Betriebe zögern aufgrund der hohen Sozialkosten, ältere Menschen einzustellen oder im Arbeitsprozess zu behalten. Es soll daher auch die Möglichkeit zur Altersarbeit geschaffen werden. Altersarbeit ist als Übergang zwischen dem 65. Lebensjahr und der Pensionierung gedacht. Wer sich für Altersarbeit entscheidet und qualifiziert, bezieht zwar seine BVG-Rente, arbeitet aber gleichzeitig für ein öffentliches oder privates Unternehmen in einem Altersarbeitsverhältnis und bezieht dafür einen von BVG- und AHV-Abgaben befreiten Lohn. Zwei Szenarien sind vorstellbar.

– Im ersten Szenario deckt der Alterslohn (bestehend aus BVGRente und abgabenbefreitem Lohn) die circa 70 Prozent des letzten Nettolohns vor Altersarbeit, die im herkömmlichen Modell als Rente aus 1. und 2. Säule bezahlt werden, nicht. In diesem Fall erhält der Altersarbeitnehmer die Differenz als Beitrag von der AHV. Diese erfährt eine Entlastung, da nur ein Teil der herkömmlichen AHV-Rente beansprucht wird.

– Im zweiten Szenario deckt der Alterslohn mehr als 70 Prozent des letzten Nettolohns vor Altersarbeit. Die Differenz (Alterslohn minus herkömmliche Rente aus 1. und 2. Säule) ist positiv und wird nun als für Arbeitnehmer und Arbeitgeber AHVpflichtiger Lohn verrechnet. Die AHV wird doppelt entlastet: Eine Rente fällt weg und zusätzliche Beiträge werden zugeführt.

Altersarbeit löst die genannten Probleme elegant. Die Unternehmen haben einen Anreiz, Altersarbeitsstellen zu schaffen, denn diese bringen ihnen Erfahrung und Know-how zu einem um bis zu 15 Prozent geringeren Preis. Attraktive Altersstellen – von der Beratung und dem Tutoring über administrative Aufgaben bis zu sozialen Dienstleistungen – locken ältere Menschen in den Arbeitsmarkt und damit in ein soziales Netz. Dem erwarteten Fachkräftemangel kann so entgegengewirkt werden. Altersarbeit bringt auch eine finanzielle Erleichterung für die Altersversicherung, indem AHV-Beiträge gespart und gewonnen werden. Altersarbeit führt damit zu einer sichereren Altersvorsorge und zu mehr Zufriedenheit im Alter.

* Marion Haemmerli ist Doktorandin im Fach Logik an der Université de Lausanne.

Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Reformideen – Rohstoff für die Schweiz» des Schweizer Monats (Sonderthema 9/Februar 2013).

Weitere Artikel in dieser Publikation:

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Neue Becken für die Schweiz (Niklaus Bieri, Universität Bern)

Bodenabgaben gegen die Zersiedelung (Piet Justus Wolf, Universität Zürich)

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