Als die AHV 1948 eingeführt wurde, bezogen Männer im Schnitt während rund 12, Frauen während etwa 14 Jahren eine Rente. Heute sind dies 18 bzw. 23 Jahre! Die Gründe dafür sind unsere stetig steigende Lebenserwartung und der Rückgang der Geburten. Ohne Korrekturen an der AHV, die dieser demografischen Entwicklung Rechnung tragen, werden also immer weniger Erwerbstätige für immer mehr und immer länger lebende Rentner aufkommen müssen eine Entwicklung, die auf Dauer nicht finanzierbar ist. Das Bundesamt für Sozialversicherungen prognostiziert denn auch, dass die AHV ab etwa 2013 dauerhaft negative Umlageergebnisse ausweisen wird.
Die stetige Ausgabensteigerung in der AHV ist ein anerkanntes Problem, und die Finanzierungslücke, die sich aus der demografischen Verschiebung ergibt, wurde mehrfach dokumentiert. Dennoch herrscht seit der 10. AHV-Revision von 1995 Reformstillstand. Auch der jüngste Versuch, das Frauenrentenalter um ein Jahr zu erhöhen bei gleichzeitiger Subventionierung früher Renteneintritte bei niedrigen Einkommen, scheiterte im Nationalrat. Andere Länder waren bereits vor Jahren gezwungen, ihre Altersvorsorge an die demografische und wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Aus den Reformen (etwa in Schweden, Deutschland, England und den USA) stechen fünf Erfolgsfaktoren hervor: Zum einen braucht es einen geeigneten Massnahmenmix, der übers Ganze gesehen und für einzelne Gruppen eine ausgewogene Reform ermöglicht. Die io. AHV-Revision in der Schweiz gelang beispielsweise deshalb, weil man den Frauen zwar ein Rentenjahr «nahm», ihnen aber gleichzeitig das Splitting «gab». Wichtig ist zudem, dass der Besitzstand der gegenwärtigen Rentnergeneration gewahrt bleibt. Als vielleicht wichtigster Faktor aber hat sich die Einführung von Automatismen erwiesen, die den Zeitpunkt der Pensionierung und die Rentenberechnung auf Faktoren wie Demografie, Lebenserwartung und Wirtschaftsentwicklung stützen und sie so dem politischen Ringen entziehen.
In diese Richtung stösst auch unser Reformvorschlag: Das Renteneintrittsalter soll gleitend, also jährlich, an die jeweilige Entwicklung der Lebenserwartung je Jahrgang angepasst werden. Bei einer solchen Reform erhöht sich das Renteneintrittsalter für jedes Jahr lediglich um ein bis zwei Monate und fällt somit individuell nicht ins Gewicht. Würde eine solche Rentenalteranpassung bereits 2011 erfolgen, läge das Rentenalter dann bei 65 Jahren und 1,5 Monaten; am 1. Januar 2012 würde es um weitere 1,5 Monate steigen; würde die Lebenserwartung stagnieren oder gar sinken, geschähe dasselbe mit dem Rentenalter. Nur schon durch diese kleine Korrektur würde die finanzielle Lage der AHV deutlich entschärft. Um auch dem Bedürfnis nach Flexibilisierung zu entsprechen, soll ein Renteneintrittsalter je Jahrgang bestimmt werden, ab dem man bei Erfüllung der vorgeschriebenen Beitragsjahre Anrecht auf eine volle Rente hat. Bestehen Hoffnungen, dass die ii. AHVRevision doch noch gelingt? Auch hier sind die Beispiele aus den anderen Ländern vielsagend: Alle untersuchten Län der konnten sich erst dann zu einschneidenden Reformen durchringen, als sie durch eine wirtschaftliche Krise oder den drohenden Zusammenbruch der Altersvorsorge dazu gezwungen waren. Der Schweiz geht es offenbar noch zu gut, wie auch der soeben gescheiterte Kompromiss im Nationalrat zeigt. Es ist also zu vermuten, dass Politik und Bevölkerung erst dann reagieren werden, wenn bei der AHV (wie der IV) das Milliardenloch nicht nur prognostiziert ist, sondern tatsächlich klafft.