Bereits zwölf Industrienationen kennen ein Rentenalter von 67 oder 68 Jahren. «Müssen wir arbeiten bis zum Umfallen?» wurde Gerhard Schwarz im aktuellen «Notenstein Gespräch» von Michael Zurkinden gefragt. Im folgenden finden Sie die wesentlichen Überlegungen, die er in diesem Zusammenhang anstellte.  

Der wohl aussagekräftigste Indikator für gestiegenen Wohlstand in der westlichen Welt ist die stetig steigende Lebenserwartung. Das ist für den Einzelnen erfreulich, bedeutet für die Vorsorgesysteme aber eine grosse Belastung. Viele Länder haben deshalb damit begonnen, das Rentenalter zu erhöhen.  Das ist eine Möglichkeit, um die langfristige Finanzierbarkeit der Renten zu sichern. Viel besser wären jedoch flexible Lösungen, die die individuellen Bedürfnisse der Menschen besser berücksichtigten.

Das Leben ist keine Autobahn

Der Irrsinn unseres heutigen Systems besteht in einer geradezu grotesken Dreiteilung des Lebens. Zuerst kommt die Zeit der Ausbildung, immer länger und oft bis 30. Dann kommt die Karriere, in der von den Leuten alles abverlangt wird, sie so hart arbeiten, dass Gesundheit und Ehe gefährdet werden oder sogar kaputtgehen, und dann kommt die Zeit, in der man das Leben geniessen soll.

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Wenn wir aber in Zukunft länger arbeiten werden, wird es notwendig sein, dass wir für das Arbeiten im Alter einen anderen Rhythmus, einen anderen Mix von Arbeit und Freizeit finden, dass wir einen fliessenden Übergang in jene Zeit finden, in der wir keiner bezahlten Arbeit mehr nachgehen. Da müssen allerdings nicht nur die Politik und die Arbeitnehmer mitmachen, sondern auch die Arbeitgeber. Das ist noch längst nicht überall der Fall.

Ein individuell bestimmbares Rentenalter

Die Schweiz kann bei der Suche nach guten Reformen vom Ausland lernen. Ein besonders vielversprechendes Pensionssystem ist das schwedische. Dort wurde schon 1999 die Altersguillotine abgeschafft. Seither kann man frühestens mit 61 Jahren – um die Festlegung einer solchen unteren Schwelle kommt man nicht herum – eine kleine Rente beziehen. Man kann aber auch praktisch unbeschränkt weiterarbeiten. Mit jedem Jahr, das man länger arbeitet, wird die Rente erhöht, und zwar versicherungsmathematisch sauber berechnet.

Ebenso wichtig wäre die Möglichkeit, ab dieser Altersschwelle eine Teilrente beziehen zu können, also beispielsweise 60% zu arbeiten und zu 40% eine Rente zu beziehen. Das ist für den sanften Übergang in den Ruhestand sehr wichtig. Generell sollten wir uns als Gesellschaft wegbewegen vom «arbeiten müssen». Sehr viele Menschen arbeiten gerne, denn Arbeit gibt Sinn, gibt das Gefühl des Gebrauchtwerdens.

All dies heisst auch nicht, dass der Staat gefordert wäre,  Anreize für längeres Arbeiten zu setzen. Eigentlich genügte es völlig, alle Verzerrungen zu beseitigen und die Renten auf eine versicherungsmathematisch korrekte Basis zu stellen: Wer länger arbeitet, kann danach eine höhere Rente beziehen und sollte dafür sicher nicht steuerlich bestraft werden. Wer aber früher in Pension geht, muss eine entsprechende Rentenkürzung in Kauf nehmen. Natürlich muss man für Leute, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr leistungsfähig sind, eine eigene Lösung finden.

Kein Leben auf Kosten der Kinder

Bei der Rentendiskussion ist oft vom sogenannten Generationenvertrag die Rede, bei dem es letztlich darum geht, dass sich keine Generation auf Kosten ihrer Kinder bereichern darf.  In der Schweiz wird dieser Generationenvertrag besonders in der zweiten Säule zunehmend verletzt: Ein viel zu hoher Umwandlungssatz und schwache Finanzmarktrenditen haben dazu geführt, dass das Geld, das Rentner von ihrer Pensionskasse in den letzten Lebensjahren ausbezahlt erhalten, nicht dasjenige ist, das sie selbst angespart haben, sondern dasjenige der jüngeren, noch im Arbeitsprozess steckenden Pensionskassenmitglieder – wir reden hier von jährlichen Umverteilungen zwischen 600 Mio. Fr. und 1,5 Mrd. Fr.

Eine Reform der beruflichen Vorsorge müsste an drei Punkten ansetzen:  Ein früherer Beginn des BVG-Obligatoriums, etwa mit 18 statt erst mit 25 Jahren, ein niedrigerer und je nach Pensionskasse flexibel bestimmbarer Umwandlungssatz und weniger stringente Anlagerichtlinien, die eine breitere Diversifikation erlauben. Die grosse Schwierigkeit besteht darin, dass ökonomisch eine Reform des BVG absolut zwingend ist, sie aber politisch wenig Chancen hat.

Mit der eigenen Anlagestrategie Gegensteuer geben

Die gute Nachricht: Der Einzelne ist den Irrungen der Vorsorgesysteme nicht völlig ausgeliefert, sondern er kann mit den eigenen Anlageentscheiden Gegensteuer geben – und nicht alle Eier in die gleichen Körbe legen. Angesichts des unverantwortlich hohen Anteils von Staatspapieren in der obligatorischen Vorsorge sollte der Anleger in seinem eigenen Einflussbereich entsprechend stark auf private Unternehmen setzen. Auch sollte man nicht alle Obligationen in einen Topf werfen. Anleihen von Unternehmen sind, wenn genügend breit gestreut, viel sicherer als Anleihen der öffentlichen Hand. Wo im obligatorischen Bereich hauptsächlich auf eigenkapitalarme Vehikel gesetzt wird, sollte man bei den freien Ersparnissen mehr Risikokapital beimischen. Und wo die staatlichen Vorschriften in kurzsichtiger Provinzialität nur einen relativ kleinen Teil an ausländischen Investitionen zulassen, sollte man im Privatvermögen der Globalisierung Rechnung tragen sowie der Tatsache, dass das die Renten sichernde Wachstum in den nächsten Jahrzehnten wohl eher in Asien, Afrika und Amerika stattfinden wird als in der Schweiz.

Zu guter Letzt stellt zählt auch selbstbewohntes Wohneigentum immer noch zu den klügsten Vorsorgestrategien. Besonders in wirtschaftlich unsicheren Zeiten stellt es eine grossartige Absicherung der Lebenssituation dar – und das mit Blick auf ein nicht nur existentielles, sondern auch emotionales Grundbedürfnis.

Sie können das Notengespräch 6/2013  «Arbeiten bis zum Umfallen?» hier herunterladen oder es als Podcast auf der Website der Notenstein Privatbank anhören. 

Arbeiten bis zum Umfallen? notenstein_gespräch_cover