In den Niederlanden existiert seit dem Jahr 2012 flächendeckend ein Fahrausweis für den öffentlichen Verkehr: die «OV-Chipkaart» (OV steht für openbaar vervoer, zu Deutsch öffentlicher Verkehr). Sie berechtigt zur Nutzung von Stadt- und Überlandbussen, Zügen, Stadtbahnen, Strassenbahnen, Metros und den meisten Fähren. Ab 2014 wird die ÖV-Chipkarte zudem für den Eintritt zu zugangsbeschränkten Bereichen in Zug- und Metrostationen benötigt, die der Sicherheit dienen. Die ÖV-Karte hat die Grösse einer Kreditkarte und enthält einen Chip, auf dem Guthaben, Fahrkarten und Abonnements gespeichert werden. Hält man die Karte an eine Check-in-Säule, wird das Abo geprüft, oder es findet zeitnah eine Abrechnung der Fahrt statt.

Anlass für die Einführung der Chipkarte war die Verteilung der Einnahmen zwischen den Transportunternehmen. Der niederländische Staat hatte 1980 das erste nationale Fahrkartensystem für alle öffentlichen Verkehrsmittel – ausgenommen war bloss die Staatseisenbahn – eingeführt, mit einem einfachen zonenbasierten Preissystem. Der Nachteil des Systems bestand darin, dass die Verkehrsunternehmen aufgrund des zentralen Verkaufs der Tickets bedeutend weniger Daten zum Fahrgastaufkommen auf Linien und Strecken hatten als zuvor. Damit wurde die Verteilung der Einnahmen zwischen den Verkehrsbetrieben erschwert und die Zuordnung zunehmend intransparent.

Eine Chipkarte fürs ganze Land

Die Verkehrsbetriebe selber wünschten deshalb ein digitales System, das eine bessere Verteilung der Einnahmen im öffentlichen Verkehr ermöglicht. Daneben sollte das neue System die Sicherheit an Bahnhöfen durch Zugangskontrollen vergrössern. Ein erster Versuch mit einer Magnetkarte scheiterte, weil die Technik noch nicht ausgereift war. Nach diesem Misserfolg starteten der Staat, die regionalen Verkehrsbetriebe sowie die Eisenbahnen eine neue Initiative: die OV-Chipkaart, basierend auf der bereits in Hongkong erprobten «Octopus Card».

Die Einführung des Systems erfolgte unter der Leitung von fünf grösseren Verkehrsbetrieben. Diese gründeten die Gesellschaft Trans Link Systems (TLS) zur Entwicklung und Verwaltung des ÖV-Chipkarten-Systems. Die übrigen Verkehrsbetriebe hatten zwar ein Mitspracherecht, waren aber nicht direkt am Entwicklungsprozess beteiligt. Die Finanzierung des Systems erfolgte zum Grossteil durch den Staat. Dieser investierte rund eine Milliarde Euro. Zudem mussten auch die Unternehmen investieren, weshalb die Fahrpreise um circa 7 Prozent stiegen.

Nach der Entwicklung gab es zunächst Pilotprojekte im Stadt- und Eisenbahnverkehr. Eine schrittweise Einführung erfolgte ab 2005, was manchmal für Verwirrung bei den Reisenden sorgte, weil neue und alte Bezahlsysteme parallel existierten. Nach mehrfachen Verzögerungen ist das System seit 2012 flächendeckend in Betrieb. Die Bahnhöfe wurden mit neuen Eingangsschleusen ausgestattet, an denen die Chipkarte eingelesen wird; sie werden 2014 aktiviert. Die Karte kann verschiedene Arten von Tickets speichern. Grundsätzlich gibt es sechs verschiedene Ticketarten, die man auf die Karte laden kann. Darüber hinaus laufen Versuchsprojekte, um die Karte auch als Zahlungsmittel in Bahnhofsgeschäften einzusetzen.

Streckenabhängige Tarife

Das «Easy Trip»-Ticket ist hinsichtlich der Tarifstruktur der innovative Teil des Systems. Auf der Karte muss der gewöhnliche Benutzer, der nicht Abonnent ist, ein Guthaben aufladen. Zu Beginn der Fahrt checkt er sich an den Portalen oder bei Lesegeräten in den Fahrzeugen ein. Dabei wird abhängig vom Verkehrsmittel und unter Berücksichtigung von Ermässigungen (zum Beispiel Junioren- oder Seniorenrabatte) eine Kaution von 4, 10 oder 20 Euro abgebucht. Beim «Auschecken» wird dem Benutzer die Kaution abzüglich des Fahrpreises rückerstattet. Im Nahverkehr wird (gesetzlich) eine Grundgebühr von 0,86 Euro plus ein Kilometertarif verrechnet. Inhaber eines Abonnements brauchen keine Kaution zu bezahlen.

Das Ein- und Auschecken erfolgt bei Zügen und U-Bahnen, wenn der Reisende den Bahnsteig oder das Bahnhofsgebäude betritt bzw. wieder verlässt. Sonstige öffentliche Verkehrsmittel führen die Transaktionsgeräte an Bord des Fahrzeuges. Der Nutzer muss in diesem Fall für jede einzelne Fahrt ein- und auschecken. Wer innerhalb von 35 Minuten umsteigt (mit Ausnahme der Bahn), bezahlt aber nur einmal die Grundgebühr. Ziel ist es, bei einer Bahnfahrt die Karte nur am Anfang und am Ende der Fahrt zu zücken. Die bislang fehlende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Eisenbahngesellschaften führt jedoch dazu, dass ÖV-Nutzer beim Umsteigen zwischen verschiedenen Transportunternehmen jeweils ein- und auschecken müssen und damit auch die Grundgebühr doppelt bezahlen. Sie tun deshalb gut daran, in diesem Fall weiterhin ein klassisches Ticket zu kaufen. Das sind die Geburtswehen einer Reform, die jedoch zweifellos das Leben sämtlicher Nutzer vereinfachen wird.

Die ÖV-Chipkarte gibt es in verschiedenen Arten: als anonyme Mehrwegkarte, als anonyme Karte für einmalige Benützung und als persönliche Karte mit personenbezogenen Daten wie Name und Geburtsdatum. Abonnemente und Ermässigungen können nur unter Verwendung der persönlichen Karte in Anspruch genommen werden. Für den Kauf einer Karte bezahlt der Nutzer 7,50 Euro (ohne Guthaben), beim Kauf eines Abonnements ist die Karte gratis.

Die Niederländischen Eisenbahnen (NS) haben mit Einführung der ÖV-Chipkarte die Tarifstruktur geändert. Vor Einführung war ein Retourbillett günstiger als zwei Einzelfahrten. Nun sind die Hin- und die Rückfahrt gleich teuer. Darüber hinaus gab es aber noch keine bedeutenden Änderungen der Tarifstruktur durch die Karte. Die auch ohne ÖV-Chipkarte bestehenden Instrumente zur Preisdifferenzierung bezüglich Auslastung oder Tageszeit sind mit der Karte (noch) nicht weiterentwickelt worden. So ist etwa in den Niederlanden das Halb-Preis-Abonnement nur ausserhalb der Stosszeiten gültig. Die Verkehrsbetriebe haben mit der Chipkarte aber künftig die Möglichkeit, mit geringem Aufwand neue Tarife und Produkte einzuführen.

Die Fahrgäste haben die Chipkarte inzwischen gut akzeptiert, und auch die Technik funktioniert nach einigen Anlaufschwierigkeiten zuverlässig. Die häufigste Fehlerquelle sind Nutzer, die bei Beendigung der Fahrt das Auschecken vergessen. In dem Fall verlieren sie ihre Kaution und erhalten je nach neuem Eincheckort teils hohe Rechnungen. Dies hat anfangs für viel Missmut gesorgt, doch ist es inzwischen möglich, online einen Rückerstattungsantrag bei den Transportunternehmen zu stellen. Ein bislang ungelöstes Problem ist die leichte Fälschbarkeit der anonymen Karten. Dem versuchen die Verkehrsbetreiber mit neueren, sichereren Chips entgegenzuwirken.

Alle Verkehrsunternehmen sind selber verantwortlich für den Betrieb des Kartensystems, damit verbundene Serviceleistungen und etwaige Reklamationen, wobei jedes Unternehmen über einen Rechner mit Verbindung zum Zentralrechner der TLS zwecks Synchronisation verfügt. Die Karte bietet die Möglichkeit zur umfangreichen Sammlung von Daten, doch enthält sie nur sehr allgemeine persönliche Informationen. Die Daten dürfen von Gesetzes wegen ohnehin nur unter Beachtung klar definierter Regeln und anonymisiert zur Verbesserung des Verkehrsangebots benutzt werden. Eine kommerzielle Auswertung der Daten ist nicht erlaubt.

Frank Bruns ist Volkswirt und leitet seit 2008 die Tätigkeitsfelder «Bahntechnik und öffentlicher Verkehr» und «Verkehrswirtschaft» im Geschäftsbereich Verkehr der Ernst Basler + Partner AG und beschäftigt sich u. a. mit Fragen der Finanzierung des Verkehrs und der Bewertung von Verkehrsinfrastrukturprojekten.

Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Der Preis ist der Weg» 
des «Schweizer Monat» (Oktoberausgabe).
Mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Monats.