Die Menschen reagieren auf Anreize. Diese alte Weisheit der Ökonomen gilt auch für staatliche Institutionen wie Kantone und Gemeinden. So wie zum Beispiel relativ hohe Sozialhilfezahlungen die Arbeitsanreize der Betroffenen verringern können, so können relativ hohe Zahlungen aus dem Topf des Finanzausgleichs den Anreiz ärmerer Kantone und Gemeinden betäuben, ihr Steuersubstrat zu erhöhen. Dies kommt vor allem dann vor, wenn ein Zuwachs an Steuersubstrat gleich wieder voll oder zu grossen Teilen über eine Reduktion der Finanzausgleichszahlungen abfliesst. In dieser Situation stecken 40% aller Schweizer Gemeinden und über die Hälfte der Deutschschweizer Gemeinden, wie aus einer neuen Analyse des wirtschaftsnahen Instituts Avenir Suisse über die Finanzausgleichssysteme in den Kantonen hervorgeht. Die Mechanik ist vergleichbar mit einer Sozialhilfe, die ein gewisses Mindesteinkommen garantiert, aber zusätzliches Erwerbseinkommen der Sozialhilfeempfänger durch Reduktion der Hilfezahlung «bestraft».

Abschöpfungsquoten aus zusätzlichem Steuersubstrat von 80% bis 100% betreffen laut dem Papier von Avenir Suisse fast ausschliesslich ressourcenschwache Gemeinden. Weniger gravierend ist laut der Analyse das Bild bei den ressourcenstarken Kommunen, wo die Abschöpfungsquoten in der Regel unter 40% liegen. Die Ausnahme ist der Kanton Zürich mit einer Quote für ressourcenstarke Gemeinden von 70%.

Dies ist nicht das einzige Anreizproblem der kantonalen Finanzausgleichssysteme. So hat laut Avenir Suisse der kommunale Steuerfuss immer noch in 13 Kantonen Einfluss auf die Finanzausgleichszahlungen, was Fehlanreize gegen Steuersenkungen setzt. Acht Kantone kennen zudem laut dem Papier noch eine «Heiratsstrafe». Die Bevorzugung kleiner Gemeinden im Finanzausgleich liefere Anreize gegen Gemeindefusionen; trotzdem zählt die Schweiz heute nur noch rund 2400 Gemeinden und damit etwa 500 weniger als im Jahr 2000.

Immerhin haben sich die kantonalen Finanzausgleichssysteme in den letzten 10 bis 20 Jahren deutlich gebessert. Die Unsitte, effektive Ausgaben der Gemeinde durch kantonale Zahlungen auszugleichen (und damit Sparanreize zu betäuben), gibt es laut Avenir Suisse kaum mehr. Auch der Bundesfinanzausgleich hat Fehlanreize stark abgebaut.

In der Gesamtbeurteilung von Avenir Suisse auf Basis eines Dutzends Kriterien wie Anreizwirkungen, Ausmass der Umverteilung im Verhältnis zur Ungleichheit und Transparenz der Ausgleichszahlungen schwingt der Kanton Glarus (mit seinen nur noch drei Gemeinden) vor Freiburg obenaus, während das Tessin und Solothurn am schlechtesten wegkommen. Der Bundesfinanzausgleich macht mit seinem dritten Platz eine relativ gute Figur.

Wie es sich gehört, wagt sich Avenir Suisse auch im neusten Papier ein Stück weit auf das politische Glatteis. Dies etwa mit dem Hinweis, dass aus Effizienzsicht der Ressourcenausgleich ebenso wie der Lastenausgleich für Peripheriegebiete einzuschränken bis abzuschaffen seien, da eine Wanderung der Bevölkerung von der Peripherie in die Zentren die Effizienz steigere. Politisch sieht das Bild ganz anders aus, wie Avenir Suisse einräumt. Der Finanzausgleich sei letztlich als «Preis für eine ineffiziente, aber politisch vielerorts so gewünschte Siedlungsstruktur» zu betrachten. So kann man das sehen. Dies schliesst aber den Effizienzgedanken im Rahmen gegebener politischer Ziele nicht aus. Die meisten kantonalen Systeme haben hier noch viel Luft nach oben.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 11. Oktober 2013. 
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».