Auf Grund der Abstimmungsunterlagen zur neuen Bildungsverfassung von 2006 konnte man in guten Treuen annehmen, dass zur Harmonisierung der «zentralen Eckwerte des Bildungssystems» wahrscheinlich auch ein Rahmenlehrplan genügt hätte. Darin wären die Grundkompetenzen in den zentralen Fächern festlegt und sonst genügend Freiraum gelassen worden.

Wie ist der Lehrplan 21 entstanden?

Der Lehrplan 21 setzt zentral auf Kompetenzen.

Wenig transparente EDK

Warum schliesslich die Wahl auf  einen  zentralistischen Lehrplan mit einer detaillierten Umschreibung von Kompetenzen fiel, ist von aussen nur schwer nachvollziehbar. Dies hängt sicher damit zusammen, dass  die Entscheidungsprozesse in der Bildungsbürokratie um die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)  nicht einfach zu durchblicken sind. In einem solchen Umfeld können sich Einzelprojekte leicht verselbständigen und eine eigene Dynamik entwickeln. Deshalb sind Konkordate, die in der Bildungspolitik häufig vorkommen, unter demokratiepolitischen Aspekten auch nicht unproblematisch, vor allem wenn Transparenz zu wünschen übrig lässt und die Verantwortlichkeiten nicht immer klar zugeordnet sind. Der Vorwurf, der Lehrplan 21 sei unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstanden, ist sicher nicht ganz unberechtigt (vgl. NZZ-Sonderbeilage «Lehrplan 21» vom 10.4.2013).

Die erste konkrete Massnahme auf der Grundlage der neuen Bildungsverfassung war das am 1. August 2009 in Kraft getretene HarmoS-Konkordat, welches national erstmals die Harmonisierung der Dauer und der wichtigsten Ziele der Bildungsstufen sowie deren Übergänge zum Ziel hatte. Die Arbeiten zum Lehrplan 21 begannen allerdings schon zwei bis drei Jahre früher. Erarbeitet wurden die Grundlagen des Lehrplans 21 in einer umfangreichen Projektorganisation von Fachleuten aus Fachwissenschaften, Fachdidaktik und Schulpraxis, die nur für den Lehrplan ab 2010 ein Budget von 6 Mio. Fr. zur Verfügung hatte.  Wer diese Experten waren, worin ihr Beitrag genau bestand und was für eine  Rolle die externen Schulstellen aus Umwelt- und Entwicklungskreisen spielten, lässt sich nicht genau verfolgen.

Mehr über die Konturen des Lehrplans 21 erfuhr die Öffentlichkeit  im März 2010, als die EDK den Grundlagenbericht als verbindliche Vorgabe für den Lehrplan verabschiedete und im Juni 2011, als  sie die «ersten nationalen Bildungsziele (Bildungsstandards) für die obligatorischen Schulen» freigab.  Die Bildungsziele, so die EDK, beschreiben, welche «Grundkompetenzen die Schülerinnen und Schüler in Schulsprache, Fremdsprache, Mathematik und Naturwissenschaften bis zum Ende des vierten, achten und elften Schuljahres erwerben sollen»,  wobei  der zweijährige obligatorische Kindergarten mitgezählt wird. Die Grundkompetenzen des Lehrplans 21 würden sich in erster Linie an die Entwickler von Lehrplänen, Lehrmitteln und Evaluationsinstrumenten richten.

Noch im November  2010 konnte deshalb das Forum Bildung die Öffentlichkeit beruhigen und vermelden: Den Lehrplan 21 gibt es noch nicht, er wird derzeit von Fachleuten und Lehrkräften im Auftrag der Kantone gemeinsam erarbeitet.  In einer gemeinsamen Erklärung des EVD, des EDI und der EDK vom 30. Mai 2011 steht, «Bund und Kantone verständigen sich auf wenige konkrete und überprüfbare Ziele für das laufende Jahrzehnt.  Diese Ziele stützen sich auf die in der Verfassung verankerten Eckpfeiler der Qualität und Durchlässigkeit». Dies liess kaum erwarten, dass der Lehrplan mit sämlichen Unterlagen dereinst ein umfangreiches Dokument von über 400 Seiten werden  könnte, das – nach Meinung seiner Kritiker – einem bildungspolitischen Paradigmenwechsel gleichkommt. In seinem ganzen Umfang erschien der Lehrplan 21 im Juni 2013, als die offizielle, bis Ende Jahr dauernde Vernehmlassung eröffnet wurde. So weit, so gut.

Es gibt noch Klärungsbedarf

Es ergeben sich einige grundsätzliche Fragen zu Entstehung und Bedeutung des Lehrplans 21:

  1. Warum pochen die Kantone so auf ihre Schulhoheit, wenn sie diese dann für einen detailversessenen Lehrplan aufgeben? Wird damit nicht eine Chance auf sinnvollen pädagogischen Wettbewerb im Rahmen eines föderalistischen Expertimentierfeldes preisgegeben? Finnland etwa hat einen kompetenzorientieren Rahmenlehrplan, der den Schulen grossen Freiraum für regionale oder lokale Lehrpläne gibt.
  2. Warum wurde bei der Erarbeitung des Lehrplans 21 auf eine grosse Projektorganisation gesetzt, die alles mehr oder weniger neu und selbst erarbeitet hat?  So steht z.B. im Dokument «Lehrmittelbericht» für den Bereich «Wirtschaft, Arbeit und Haushalt», dass grosser Handlungsbedarf bestehe, der mit den bestehenden Lehrmitteln nicht erfüllt werden könne. Warum wurde nicht auf bestehendes Material im deutschsprachigen Raum zurückgegriffen, wo es z.B. zur Marktwirtschaft vorzügliche Unterrichtsvorlagen gibt? Verzichtete man etwa darauf, weil diese von Wirtschaftsorganisationen erarbeitet wurden?
  3. Ist ein zentrales Ziel des Lehrplans 21,  nämlich  Schülerinnen und Schülern den kantonsübergreifenden Wechsel von Schulen ohne Zeitverlust und ohne Aufarbeitung von Schulstoff zu erleichtern, nicht schon dadurch gefährdet, dass es bei der Harmonisierung des Fremdsprachenunterrichts nicht klappt?

Weitere Fragen, vor allem auch die verlangten Kompetenzen im Bereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» sollen in weiteren Beiträgen noch ausgeleuchtet werden.