Die aktuellen Debatten um faire Löhne und Verteilgerechtigkeit in der Wirtschaft schlagen auch auf die Immobilienbranche durch. Das sagt Patrik Schellenbauer, Ökonom beim liberalen Thinktank avenir suisse in Zürich.

Jürg Zulliger: Herr Schellenbauer, avenir suisse sorgte jüngst für grosse Schlagzeilen mit der Forderung nach mehr Kostenwahrheit im öffentlichen Verkehr. Die Selbstfinanzierung der Bahnen sei viel zu niedrig. Werden Sie demnächst mit ähnlichen Thesen über den Miet- und Immobilienmarkt für öffentliches Aufsehen sorgen?

Patrik Schellenbauer: Wir haben wiederholt Aufsätze über die Folgen der Regulierung dieses Marktes publiziert. Eine umfangreichere Publikation, die sich kritisch mit dem Immobilienmarkt auseinandersetzt, wäre durchaus möglich. Bis jetzt haben wir uns mit Aspekten der Raumplanung, den Folgen des Verkehrs und Steuern befasst. Immobilien sind charakteristisch eine Schnittstelle ganz unterschiedlicher Themen. Wir wissen zum Beispiel, dass die starke Subventionierung des Verkehrs und eine laxe Raumplanung die Zersiedlung der Schweiz begünstigt haben.

Die Bau- und Immobilienszene der Schweiz ist stark von KMU geprägt. Weshalb sollten die sich überhaupt für Politik interessieren?

Von den politischen Rahmenbedingungen sind auch die Investoren im Immobilienmarkt betroffen. Es zeichnet sich derzeit ein Druck in Richtung verstärkter Regulierung des Immobilienmarktes ab. Dies könnte zweifellos die Attraktivität von Immobilieninvestments in der Schweiz schmälern. Mit der Aussicht auf mehr Regulierung würden Investoren eine höhere Risikoprämie verlangen. Dies wiederum hätte sinkende Preise zur Folge. Ein substanzielles Risiko einer Verschärfung des Mietrechts würde dazu führen, dass Investoren die erwarteten Zahlungsströme aus Immobilien für weniger gesichert halten als bisher.

Wo sehen Sie Anzeichen eines Regulierungsdrucks in der Schweiz?

Zum einen ergibt sich dies klar aus der aktuellen Verteilungsdiskussion, weil gewisse Kreise die Einkommen anders verteilen möchten. In dieser Debatte kommt bald einmal der Boden- und Immobilienmarkt in den Fokus. Es ist eine alte Dogmendiskussion manche Leute kritisieren die Aufwertung des Bodens an den zentralen Lagen. Die Begründung lautet immer gleich: Diese Bodenrente sei unverdient und ungerecht. Wenn Verteilung und Gerechtigkeit zu einem Megatrend werden, schlägt dies erfahrungsgemäss immer auf den Immobilienmarkt durch. Für Boden und Immobilien gelten nun einmal die Gesetzmässigkeiten von Angebot und Nachfrage, man kann einen funktionierenden Markt nicht nur an der Kostenseite festmachen. Ich stelle fest, dass die Akzeptanz dieses Prinzips zurückgeht.

Neuerdings zeichnen sich auch Bestrebungen ab, die Lex Koller zu verschärfen bzw. Grundeigentum und Beteiligungen für Ausländer weiter zu erschweren. Wie beurteilen Sie dieses Thema?

Zum einen hatte das national-konservative Denken in der Schweiz immer Anhänger. Zum anderen fällt bei der Lex Koller ins Gewicht, dass die Schweiz in den letzten Jahren stark von einer intensiven Globalisierungswelle und der Zuwanderung erfasst wurde. Das verstärkt Abwehrreflexe, getreu dem Motto: Wenn die Schweiz schon globalisiert ist und jeder zweite Franken in der Zwischenzeit im Ausland verdient wird, dann sollte uns wenigstens der Boden gehören.

Von welcher Seite erwarten Sie sonst noch einen verstärkten Regulierungsdruck?

Das hat mit dem ausländischen Kapital zu tun. Nach der Finanzkrise und angesichts der Unsicherheiten in anderen Anlageklassen wie Aktien, Überbewertung von Obligationen etc. hat der Schweizer Immobilienmarkt als sicherer Anker an Attraktivität gewonnen. Wenn mehr ausländisches Kapital in die Schweiz fliesst, wird dies auf dem Käufermarkt (EFH, Anlageobjekte) tatsächlich zu höheren Preisen führen. Die einheimischen Käufer sind einer zahlungskräftigen Konkurrenz ausgesetzt. Ökonomisch falsch ist hingegen der Glaube, ausländisches Kapital verteure die Mieten in der Schweiz. Mieterinnen und Mieter haben durchaus Interesse daran, dass mehr Kapital in einen Markt fliesst. Denn mehr Investitionen erhöhen das Angebot und reduzieren die Nutzungskosten.

Nehmen wir an, dass im Parlament künftig eine Allianz geschmiedet wird, um die Grenzen der Schweiz beim Personenverkehr wieder dichter zu machen. Was wären die Folgen für den Immobilienmarkt?

Die Auswirkungen wären wohl dramatisch. Rückblickend betrachtet, käme man wohl zum Schluss, dass die Schweiz eine Immobilienblase erlebt. Vor der Zuwanderungswelle verzeichneten wir eine Wohnungsproduktion von vielleicht 30.000 oder 35.000 Einheiten. Jetzt sind es rund 50.000 Neuwohnungen pro Jahr. Ohne Zuwanderung wären wir mit einer Überproduktion konfrontiert. Würde die Politik der Bevölkerungsentwicklung kurzfristig einen Riegel vorschieben, hätte dies ohne Zweifel Folgen für die Immobilienpreise. Die Auswirkungen würden dann auch den Bankensektor betreffen.

Inwiefern?

Geht die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt zurück, ist mit einer ganzen Kaskade von Auswirkungen zu rechnen. Die Frage ist, wie man konkursite Banken abwickeln würde, die für die Gesamtwirtschaft bedeutend sind. Damit wäre wieder die «Too big to fail»-Thematik virulent. Wenn sich die Finanzinstitute im Bereich der Immobilienfinanzierungen Probleme einhandeln würden, wäre ein «Credit Crunch» denkbar, also eine eingeschränkte Kreditvergabe für andere Branchen.

Tatsache ist aber, dass die Infrastruktur unseres Landes nicht auf eine Neun- oder Zehn-Millionen-Schweiz ausgelegt ist. Was ist Ihr Vorschlag?

Die Bevölkerung wächst jährlich um rund ein Prozent. Die Infrastruktur ist aber nicht für ein Szenario wie jetzt geschaffen worden. Das führt unweigerlich zu Knappheiten und zu Staus. Wir müssen also die Schweiz auf die neuen Verhältnisse skalieren, nicht nur beim Verkehr, sondern z.B. auch im Gesundheitswesen oder bei der Bildung. Wichtig ist, dass wir diese Anpassung so nachhaltig und umweltverträglich wie möglich machen. Fehlanreize wie die viel zu billige Mobilität sind zu vermeiden. Es hat keinen Sinn, die Leute mittels Rationierung – sprich durch Stau – zur Vernunft bringen zu wollen! Im Ausland ist es vielerorts normal, das Verkehrsaufkommen über Preise zu steuern, etwa indem man wie in Stockholm oder London eine Gebühr bezahlt, wenn man mit dem Auto ins Stadtzentrum fährt.

Die Schweiz hat in den letzten Jahren wirtschaftlich von einer ausgezeichneten Wettbewerbsfähigkeit und tiefer Staatsverschuldung profitiert. Riskieren wir nun, diese Trümpfe aus der Hand zu geben?

Wenn der jetzt spürbare Druck nach mehr Regulierung umgesetzt wird, könnte dies unsere Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich beeinträchtigen, und zwar in einem Mass, das viele unterschätzen. Es ist ein Stück weit eine Ironie, dass unsere Liberalen Spielregeln – etwa auf dem Arbeitsmarkt – irgendwann eine Gegenbewegung und den Ruf nach mehr Regulierung auslösen. Man könnte dies auch den «Fluch des Erfolgs» nennen.

Müsste sich die Immobilienbranche mehr Gehör verschaffen?

Ja, die Branche sollte sich mehr als bisher in die Politik einbringen und zum Beispiel erklären, dass private Investitionen in den Wohnungsbau nicht gegen die Interessen der Mieter sind. Ich denke auch an die Volksabstimmung in Zürich über den erhöhten Anteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus auf ein Drittel. Um dieses Ziel umzusetzen, wird man den privaten Wohnungsbau über viele Jahre praktisch auf null herunterfahren müssen. Private Investitionen werden aus der Stadt gedrängt, und die paar wenigen, noch privat gehandelten Grundstücke werden zu überhöhten Preisen gehandelt. Andere zahlen also über höhere Mieten oder über höhere Steuern den Preis dieser Politik. Ich warne daher vor dem Pragmatismus, den ich teils in der Branche beobachte. Die Haltung, dass man sich mit jeder Regulierung irgendwie wird arrangieren können, könnte sich schon bald rächen.

Dieses Interview erschien am 9. November 2013 in «Immobilien Business».