In der Wohnpolitik kann Zürich von Genf lernen | Avenir Suisse

Genf berücksichtigt bei der Vergabe subventionierter Stadtwohnungen sowohl die Einkommenssituation der Mieter als auch die Belegungsdichte der Wohnungen.

Die Wohnpolitik der Stadt Zürich sorgt regelmässig für Schlagzeilen. Derzeit geht es um günstige städtische Wohnungen, in denen Vermögensmillionäre aus Politik und Spektakel ausfindig gemacht wurden. Das ist nichts Neues – und nichts Aussergewöhnliches. Auswertungen des statistischen Amtes der Stadt Zürich zeigten vor Jahren bereits, dass die Mieter des «gemeinnützigen» Segments (zu dem auch die Wohnbaugenossenschaften zählen) im Durchschnitt über ein leicht höheres Vermögen verfügen als jene des privaten Marktes.

Die Falschen subventioniert

Die Bevölkerungsbefragung 2011 der Stadt Zürich schliesslich offenbarte, dass 12 Prozent jener Haushalte, die zwischen 150 000 und 200 000 Franken jährlich verdienen, in Genossenschaftswohnungen wohnen. Nach allgemeinem Gerechtig-keitsempfinden sind sie nicht subventionswürdig.

Die aktuellen Vorschriften taugen offenkundig nicht, den gemeinnützigen Wohnungsbau auf jene Personen auszurichten, die ihn wirklich brauchen. Die Tatsache, dass die meisten Mieter keine direkten Mietzuschüsse von der Stadt erhalten, sondern bloss eine günstige Wohnung, die streng nach Kostenmiete vergeben wird, ist irrelevant. Gäbe die Stadt Strom oder Lebensmittel unter dem Marktpreis ab, käme es niemanden in den Sinn, von etwas anderem als von Subventionen zu sprechen.

Ein ausgeklügeltes System

Die Vergabe- und Vermietungspraxis sollte an wirksamere Kriterien als heute geknüpft werden. Hier könnte Zürich für einmal vom Kanton Genf lernen, der ein ausgeklügeltes System für die Festlegung der Mieten im subventionierten Segment kennt. Dieses berücksichtigt sowohl die Einkommenssituation der Mieter als auch die Belegungsdichte der Wohnungen. Grundsätzlich wird die Miete so weit verbilligt, dass die Wohnausgaben etwa ein Fünftel des Haushaltseinkommens ausmachen. Der Anteil erhöht sich, wenn die Wohnung unterbelegt ist, beispielsweise nach dem Auszug der Kinder.

Es wäre ein Leichtes, in diesem System auch das Vermögen zu berücksichtigen. Die «Surtaxe» könnte jährlich dem steuerbaren Einkommen angepasst werden. Im Informationszeitalter ist das keine Hexerei. Aus mietrechtlichen Gründen dürfte die Zusatzabgabe aber wohl nur bei neuen Mietverträgen angewandt werden.

Dieses Förderungssystem wäre auf jeden Fall gerechter und effizienter als die heutige Praxis in der Stadt Zürich. Dieses hat zur Folge, dass die Mieter in der Regel in den städtischen Wohnungen bleiben, auch wenn diese ihren Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Die «Surtaxe» setzt einen Anreiz zum Umzug, ohne Zwang auszuüben.

Anders sähe es aus, wenn die starren Belegungsvorschriften, die heute bei einer Mehrheit der gemeinnützigen Vermieter theoretisch gelten, in die Praxis umgesetzt würden. Dann müssten langjährige Mieter nach einer Veränderung der familiären Situation ihre Wohnung räumen. Deshalb werden diese Vorschriften nur mangelhaft durchgesetzt. Eine neuere Studie des Bundesamtes für Wohnungswesen zur Vermietungspraxis der Genossenschaften zeigt: Ein Drittel von ihnen überprüft die Belegungsvorschriften nur beim Einzug. Die Hälfte vertraut auf die Selbstdeklaration der Mieter. Und selbst wenn Unterbelegung festgestellt wird, bleibt dies oft ohne Folgen.

Viel besser, nicht perfekt

Zugegeben, das Genfer Modell ist nicht perfekt. Die Subvention ist nach wie vor an den Bezug bestimmter Wohnungen gekoppelt – es handelt sich um Objekthilfe. Im privaten Segment des Wohnungsmarktes finden sich viele Familien, die zwar die Kriterien der Baugenossenschaften und der städtischen Liegenschaften erfüllen, aber keine entsprechenden Vergünstigungen erhalten. Dieses Problem liesse sich nur mit einem reinen Wohngeldsystem lösen, sprich mit einem Übergang zur Subjekthilfe. Zudem verschärft die «Surtaxe» die Steuerprogression. Wer mehr verdient, muss nicht nur mit einer höheren Steuerbelastung, sondern auch mit einer höheren Miete rechnen. Das könnte unter Umständen ein negativer Anreiz sein, was den Arbeitseinsatz betrifft.

Doch besser als das heutige System in Zürich ist die Genfer Lösung allemal.

Dieser Artikel erschien im «Tages-Anzeiger» vom 31. Januar 2014.