Kunst und Kultur sind für jede menschliche Gemeinschaft von hoher Wichtigkeit. Sie halten das Gemeinwesen zusammen – und am Leben. In der Maslowschen Bedürfnispyramide stehen sie ganz oben, und doch – oder gerade deswegen – werden sie selbst in ärmlichsten Regionen der Welt gepflegt: Traditionen, Feste, Kulte, Musik, Tanz, Spiele, Riten. Auch moderne, reiche Gesellschaften geben viel Geld für Kunst und Kultur aus, privates wie öffentliches. Die folgenden Überlegungen sollen daher in keiner Weise den Sinn dieser Ausgaben infrage stellen, sie gehen vielmehr davon aus, dass die institutionalisierte Kultur einen – wichtigen – Teil des Menschseins ausmacht.

Zeit und Geld

Das bedeutet aber nicht, dass sich Kultur den ökonomischen Zwängen entziehen kann. Kulturelle Aktivitäten unterliegen der Knappheit von Zeit und Geld ebenso wie alles andere Tun. Jede Stunde und jeder Franken, die für die eine Tätigkeit eingesetzt werden, fehlen für etwas anderes. Das gilt innerhalb des weiten Feldes der Kultur, und es gilt auch mit Blick auf den Wettbewerb um knappe Ressourcen zwischen der Kultur und alternativen Verwendungszwecken wie dem Sport, der Bildung oder dem Sozialen.

wi_GS-Eigenwirtschaftlichkeit

Für den verantwortungsvollen Umgang mit knappen Mitteln ist Transparenz eine elementare Voraussetzung. Avenir Suisse hat daher unlängst mit einem Poster unter dem Titel «Kulturbudgets» versucht, etwas Licht in die neblige Situation zu bringen. Leider erwies sich das als schwieriges Unterfangen, weil die Rechnungslegungen der verschiedenen Städte und Kantone bzw. der Schweiz und des Auslands kaum unterschiedlicher sein könnten und das Bedürfnis nach finanzieller Durchsichtigkeit im Kulturbereich nicht eben gross ist. Man weiss in der Schweiz sicher mehr über die durch Berufsfischerei gefangenen Fischarten und -mengen in Schweizer Gewässern (beispielsweise wurden im Jahr 2011 offenbar gesamthaft 8933 Zander gefangen) als über die rund 2,6 Mrd. Fr., die die öffentliche Hand jährlich für die Finanzierung von Museen, Theatern, Konzerthäusern und Bibliotheken sowie die Unterstützung von Künstlern und Kunstprojekten ausgibt. Mit diesem Betrag liegt die Schweiz gleichauf mit Schweden und etwas vor Österreich (2,3 Mrd. Fr.) und Dänemark (2,2 Mrd. Fr.).

Kulturstädte

Immerhin lassen sich einige Aussagen machen: In der Schweiz stemmen die Gemeinden, vor allem die grossen Städte, mehr als 50% der Kulturausgaben. Im Quervergleich geben die Städte ungefähr 4,7% ihrer Budgets für Kultur aus, in der deutschen Schweiz etwas weniger als in der lateinischen. Nicht nur Genf und Basel, auch Lugano und Lausanne geben pro Kopf der Bevölkerung deutlich mehr für Kultur aus als die Stadt Zürich, bei der es gut 430 Fr. pro Kopf sind. Im internationalen Vergleich gibt Brüssel pro Kopf der Bevölkerung ähnlich viel aus wie Zürich; Berlin und Wien nur halb so viel, London und New York sogar nur um die 15 Fr.

Das führt zu einer zentralen ökonomischen Frage, nämlich der nach dem Eigenfinanzierungsgrad. Kulturangebote werden von der Politik als «meritorische» Güter angesehen, als Güter bzw. Dienstleistungen also, die «zu wenig» nachgefragt würden, wenn die Konsumenten die vollen Kosten ihres Museums-, Theater- oder Konzertbesuchs zahlen müssten. Deshalb werden in beträchtlichem Ausmass Subventionen ausgerichtet. Selbst für jene, die diese Praxis nicht grundsätzlich infrage stellen – wobei es immerhin zweckdienlichere Instrumente gäbe, etwa Kulturgutscheine (Vouchers) –, sind nur schon die Unterschiede erhellend bzw. rufen nach Erklärungen.

Erhellende Unterschiede

Warum etwa kommt die Fondation Beyeler auf einen doppelt so hohen Eigenfinanzierungsgrad wie das Zentrum Paul Klee? Und ist das gut so? Ein wesentlicher Teil der Erklärung ist sicher die Besucherzahl, die in Riehen fast dreimal so hoch ist wie in Bern. Oder: Ist es gewollt und unabänderlich, dass Liebhaber des Orchestre de la Suisse Romande bei jedem Konzertbesuch über 200 Fr. mehr geschenkt erhalten als die auch kräftig unterstützten Tonhallebesucher in Zürich und sogar mehr subventioniert werden als die Besucher des Zürcher Opernhauses, obwohl Musiktheater extrem viel teurer ist als Konzerte? Ferner: Kommt die eher alternative Ausrichtung der Roten Fabrik die Zürcher Steuerzahler pro Besucher tatsächlich fast so teuer zu stehen wie das Programm des Schauspielhauses? Und schliesslich: Sollte man nicht eher beim weniger aufwendigen Sprechtheater höhere Eigenfinanzierungsgrade erzielen können als im Musiktheater?

In vielen Branchen der Wirtschaft gibt es Erfahrungsgruppen, die ökonomische Kennzahlen austauschen, die es erlauben, sich an den Besten des Fachs zu messen, und die Ansporn geben, es ihnen gleichzutun. Ähnliches, und zwar, weil es um öffentliche Gelder geht, unter dem Auge der Öffentlichkeit, wäre auch im Kulturbetrieb von Nutzen. Es diente à la longue vor allem der Kultur.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 22. Februar 2014.
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».