Daten von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union (EU), zeigen, dass die Erwerbstätigenquote der 65- bis 69-Jährigen, also der Anteil der Erwerbstätigen dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung der gleichen Altersgruppe, im Durchschnitt der 15 «alten» EU-Mitgliedstaaten zwischen 2004 und 2013 von 7,4% auf 11,2% gestiegen ist. Dieser Durchschnitt täuscht über grosse Unterschiede zwischen den Ländern hinweg. Drei Ländergruppen lassen sich unterscheiden (siehe Grafik).

Längere Lebensarbeitszeit: Arbeit im Alter verliert ihren Schrecken - Erwerbstätigenquote im Alter von 65 bis 69 nach Ländergruppen

  1. Die skandinavischen Staaten sind für ihre hohe Erwerbsbeteiligung und ein relativ spätes Renteneintrittsalter bekannt. Auch in der Altersgruppe 65 bis 69 ist der Beschäftigtenanteil überdurchschnittlich hoch. Dänemark, Schweden und Norwegen brachten ihre Vorsorgesysteme dank tiefgreifender Reformen in Einklang mit der Alterung der Bevölkerung. Sie machten das Rentenniveau von der Lebenserwartung abhängig und schufen Anreize für die Altersarbeit. Die Regierungen hämmern den Werktätigen ein, dass sie länger arbeiten müssen, wenn sie sinkende Renten vermeiden wollen. Die Arbeitsmarktbeteiligung der älteren Menschen dürfte weiter steigen. Skandinavien und die Schweiz unterscheiden sich hinsichtlich Steuerbelastung, Staatsquote und Dimension des Wohlfahrtsstaates stark. Auf dem Arbeitsmarkt verschwinden die Unterschiede; die Kurven in der Grafik sehen sich zum Verwechseln ähnlich.
  2. In einigen mitteleuropäischen EU-Ländern galt ein möglichst früher Rückzug aufs Altenteil lange als Verbesserung der Lebensqualität. 2004 war in Deutschland, den Niederlanden und Österreich im Durchschnitt noch eine von 15 Personen zwischen 65 und 69 Jahren in den Arbeitsmarkt integriert, 2013 ging immerhin jede achte Person einer bezahlten Arbeit nach. Dafür sind vor allem die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen im Rahmen der «Agenda 2010» in Deutschland verantwortlich. Hier hat sich die Erwerbstätigenquote der 65 bis 69-Jährigen in 10 Jahren mehr als verdoppelt. Die rückwärtsgewandte Sozialpolitik der grossen Koalition gefährdet diesen positiven Trend.
  3. In den wirtschaftlich angeschlagenen Volkswirtschaften des südlichen Europas waren Berufstätige jenseits von Alter 65 im Jahr 2004 Exoten. Daran hat sich wenig geändert. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlässt auf den Arbeitsmärkten Italiens, Spaniens und Griechenlands tiefe Spuren. 2013 war die ohnehin tiefe Erwerbsbeteiligung im Alter 65 bis 69 im Gegensatz zum gesamteuropäischen Trend niedriger als im Krisenjahr 2008. Diese Länder werden angesichts der Bevölkerungsentwicklung – steigende Lebenserwartung und tiefe Geburtenraten – nicht darum herumkommen, die Vorsorgesysteme weiter zu reformieren und die Arbeitsmärkte zu deregulieren. Dann dürfte auch im Süden Europas eine grössere Zahl von Senioren den Eintritt in den Ruhestand hinausschieben.
  4. Die Bereitschaft zur Arbeit im Alter steigt, aber das Potenzial ist noch gross. Ältere Menschen, die sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, tragen nicht nur zum Wirtschaftswachstum, sondern auch zur finanziellen Sicherung der Vorsorgewerke bei. Das trifft umso mehr zu, als vor allem die gut Ausgebildeten und gut Verdienenden die Lebensarbeitszeit verlängern. Das wird das Thema eines nächsten Beitrags sein.