Vor einem Monat hat Avenir Suisse im neusten «avenir standpunkte» dargelegt, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) weder wünsch- noch finanzierbar ist. Vor allem die Berechnungen zur Finanzierbarkeit gaben in den Medien Anlass zur Diskussion. Die dafür nötige Mehrwertsteuer (MWST) von bedrohlichen 50% sei eine Erfindung von Avenir Suisse, in Wirklichkeit sei das BGE ohne spürbare Konsequenzen finanzierbar, tönte es von einigen BGE-Befürwortern.

Ein Grundeinkommen für alle oder für wenige?

Diese Behauptung ist gleich zweimal falsch: Erstens wären, wenn überhaupt, nicht 50%, sondern 56% eine Erfindung von Avenir Suisse. Zweitens ist dieser Prozentsatz eben keine Erfindung, sondern er resultiert aus einer (relativ simplen) Berechnung für ein Szenario, in dem das Grundeinkommen immer und jedem zusätzlich zu seinem Erwerbseinkommen ausbezahlt wird.

Die Rechnung hierzu ist einfach: Ein solches BGE (2500 Fr. monatlich für Erwachsene, 625 Fr. für Kinder) kostet jährlich 200 Mrd. Fr. Die bisherige soziale Sicherung kostet (inkl. AHV) 67 Mrd. Fr. Es fehlen also 133 Mrd. Fr., die beim heutigen Ertrag von 2,76 Mrd. Fr. pro MWST-Prozent einer Erhöhung der MWST um 48 Prozentpunkte von 8% auf 56% entsprächen. Das diesen Zahlen zugrundeliegende Szenario ist keineswegs eine Erfindung von Avenir Suisse, sondern wurde von Bernard Kundig, BGE-Aktivist an vorderster Front, als logisches, konsequentes Modell, das die Arbeitsanreize nicht übermässig senkt, vorgeschlagen.

In der Tat gibt es aber (zumindest bei einer blossen statischen Betrachtung) «günstigere» Modelle, die nun von den Befürwortern ins Feld geführt werden, um die 56%-Mehrwertsteuer ins Reich der Fabeln zu verweisen. Diese Modelle sehen vor, dass das Grundeinkommen schnell durch das Erwerbseinkommen ersetzt bzw. in dieses integriert wird. So würde z.B. ab einem Erwerbseinkommen von monatlich 4000 Fr. kein Grundeinkommen mehr ausbezahlt bzw. setzte sich ein vormaliger Bruttolohn von 4000 Fr. neu aus 1500 Fr. Erwerbs«entschädigung» und 2500 Fr. Grundeinkommen zusammen. Damit würden die BGE-Transfers von 200 Mrd. Fr. auf 90 bis 95 Mrd. Fr. reduziert, es fehlten gegenüber dem jetzigen System «nur» noch ca. 25 Mrd. Fr. (die dem Gegenwert von 9 MWST-Prozenten entsprächen und folglich mit einer Erhöhung auf 17% zu finanzieren wären).
Allerdings ist dieses Modell ökonomisch äquivalent mit einer immensen Besteuerung der niedrigen Einkommen. Im gesamten Bereich von 0 Fr. bis 4000 Fr. Erwerbseinkommen dürfte ein Arbeitnehmer von einem zusätzlich verdienten Franken (ohne Berücksichtigung der eigentlichen Besteuerung) nur 37,5 Rappen behalten, oder, um es etwas greifbarer zu formulieren:

  • Jemand mit geringen Qualifikationen stünde vor der Wahl, mit einer Vollzeitstelle 4000 Fr. monatlich zu verdienen (und auf diese noch Steuern und Sozialabgaben zu zahlen), oder ohne jegliche Erwerbsarbeit 2500 Fr. (steuerfrei) zu erhalten.
  • Einer Mutter, die einer Teilzeitarbeit nachgeht, würden von 30 Fr. Stundenlohn wegen der Reduktion des Grundeinkommens nur 11.25 Fr. bleiben, die bei weitem nicht die Kosten der Fremdbetreuung der Kinder aufwögen.

Frauen zurück an den Herd?

Ein so in die Erwerbseinkommen «integriertes» BGE hätte also desaströse Auswirkungen auf die Arbeitsanreize im Niedriglohnbereich und im Bereich der Teilzeitarbeit. Es gibt wohl kein besseres Mittel als ein derart ausgestaltetes Grundeinkommen, um Frauen wieder zurück an den Herd zu treiben und Niedrigqualifizierte aus dem Erwerbsleben zu drängen. Bei der Berücksichtigung dieser dynamischen Effekte ergeben sich deshalb auch für dieses Szenario schnell Finanzierungsprobleme, denn der Preis eines solchen BGE steigt schnell an, wenn wegen ihm Leute auf eine (Teil-)Erwerbstätigkeit verzichten.

Avenir Suisse hat für die Berechnungen zur Finanzierung das aus ihrer Sicht logischere und langfristig vorteilhaftere Finanzierungsmodell gewählt. Dass dem Think-Tank nun von einigen BGE-Befürwortern vorgeworfen wird, Zahlen zu erfinden, passt ins Bild einer BGE-Community, die sich davor scheut, sich bei der Frage der Finanzierung festzulegen. Dass sie selbst von einem Konsens weit entfernt sind, erweist sich für die Befürworter zuweilen sogar als Vorteil, denn so können sie, je nach Erfordernissen der Argumentation, das jeweils vorteilhafteste Modell in die Diskussion einwerfen.

Lesen Sie nächste Woche: Warum das Grundeinkommen die Lohnkosten nicht senken wird und wie monströs Mikrosteuern sein können.