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Die Reform der Unternehmenssteuern (USTR III) geht in eine neue Phase. Indiskretionen haben die Diskussion rund um die wichtigste steuerpolitische Baustelle der Schweiz wieder entfacht. Bisher bestand die Strategie des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) und der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren (FDK) im Wesentlichen darin, das gegenwärtige System der privilegierten Besteuerung von Holdings und gemischten Gesellschaften (sogenannten Statusgesellschaften) unter neuem Namen weiterlaufen zu lassen. Grosszügig definierte Lizenzboxen und weitere steuerrechtliche Kunstgriffe hätten den Standort Schweiz als Basis für multinationale Unternehmen sichern sollen. Nun scheint aber die internationale Wetterlage gedreht zu haben zumindest nach Einschätzung des EFD und der FDK. Eine restriktive Anwendung von neuen Steuermodellen zeichnet sich ab, sodass die Alternative Senkung des ordentlichen Gewinnsteuersatzes ohne Privilegierungen wieder an Aktualität gewinnt.

Optimaler Satz gesucht

Gesucht wird also ein Kompromiss zwischen der tiefen Belastung der äussert mobilen Statusgesellschaften (die heute um die 11% liegt) und der höheren der ordentlich besteuerten Unternehmen (23% im kantonalen Durchschnitt). Ein zu hoher Einheitssatz würde eine massive Flucht von Steuersubstrat aus der Schweiz bewirken, ein zu tiefer würde ein Loch in die Kassen von Bund und Kantonen reissen. Gemäss Schätzung von Avenir Suisse dürfte der die Steuereinnahmen maximierende Einheitssatz bei 13% bis 15% liegen, wobei der «optimale» Satz von Kanton zu Kanton unterschiedlich ausfällt.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre diese neue Stossrichtung, wenn sie bestätigt wird, zu begrüssen. Unter Finanzwissenschaftlern herrscht nach wie vor der Konsens, dass die Unternehmensgewinnsteuer eine der schädlichsten Steuern überhaupt ist, auch wenn diese Aussage politisch unkorrekt geworden ist. Gewinnsteuern vermindern den Anreiz, Kapital zu bilden, in Maschinen oder Innovationen zu investieren. Damit wird die Wirtschaft auf einen Pfad niedrigeren Wachstums geführt, von dem weder Unternehmer noch Arbeitnehmer langfristig profitieren.

Dass eine solche Gleichstellung der in- und der ausländisch orientierten Steuerbelastungen möglich ist, zeigt das Beispiel Irland. Gegen Ende der Neunzigerjahre vor ähnliche Herausforderungen wie heute die Schweiz gestellt, hatte Dublin den Gewinnsteuersatz von 25% auf 12,5% gesenkt und gleichzeitig weitgehend auf Privilegierungen verzichtet. Wie bereits in Irland wird nun auch in der Schweiz die Frage der Kompensation der Steuerausfälle kontrovers diskutiert.

Die irische Reform wurde von einer Erhöhung der Dividenden- und Kapitalgewinnbesteuerung für inländische Investoren begleitet. Eine ähnliche Massnahme in Form einer Beteiligungsgewinnsteuer wird nun auch hier erwogen. Diese Steuer, die bereits im Zusammenhang mit der USTR II diskutiert worden war, würde die realisierten Kapitalgewinne auf Beteiligungen erfassen, bei denen der Steuerpflichtige mehr als 10% aller Anteile hält. Auf den ersten Blick lässt sich ein solcher Schritt nachvollziehen. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die auf die Besteuerung von Kapitalgewinnen im Privatvermögen verzichten. Die Senkung des ordentlichen Gewinnsteuersatzes würde vor allem das von Inländern gehaltene Kapital entlasten. Man könnte also meinen, dass eine umfassende Besteuerung der Kapitalgewinne die verteilungspolitisch heikle Balance zwischen Besteuerung des Kapitals und der Löhne unberührt lässt.

Dieser Schluss wäre verfehlt, denn von Balance kann heute keine Rede sein. Zunächst würde die neue Beteiligungsgewinnsteuer die Kapitalgewinne zum vollen Satz der Einkommenssteuer belasten. Dies steht quer zur Unternehmenssteuerreform II, bei der nach zähem Ringen die Dividenden von qualifizierten Beteiligungen auf Stufe der Einkommenssteuer teilweise befreit wurden. Die Beteiligungsgewinnsteuer würde also die Benachteiligung der Dividenden als Ausschüttungsform mit derjenigen der Kapitalgewinne ersetzen.

Zum anderen würde die Beteiligungsgewinnsteuer zu einer völlig überrissenen Belastung des Kapitaleinkommens führen, von dem Kapitalgewinne eine wichtige Komponente bilden. Denn ungeachtet der stets kolportierten Meinung, die Schweiz sei ein Hort für Reiche, werden hierzulande Vermögenswerte, insbesondere das inländische Unternehmenskapital, bereits grosszügig angezapft.

Der Grund dafür ist eine helvetische Spezialität, die Vermögenssteuer. Trotz Grenzsteuersätzen im Promillebereich schenkt sie bei vielen Unternehmen stark ein. Je nach Anlagekategorie nehmen die realen Grenzsteuersätze dadurch um rund 30 Prozentpunkte zu. Hinzu kommt, dass sich die Steuerbelastung immer auf den nominal erzielten Kapitalertrag und -gewinn bezieht, für den Investor jedoch die reale Rendite entscheidend ist. Der effektive, reale Steuersatz liegt also einiges höher. Das ist nicht nachhaltig, denn Grenzbelastungen von bisweilen über 100% sind konfiskatorisch und verursachen Verzerrungen, die sich inVerhaltensanpassungen bei den Besteuerten äussern. Einige Steuerpflichtige werden versuchen, die Steuern zu umgehen, andere werden viele Ressourcen für die Steueroptimierung aufwenden – Ressourcen, die produktiver eingesetzt werden könnten. Andere werden gänzlich auf Investitionen verzichten und vom Vermögensverzehr leben.

Reform der Vermögenssteuer

Letztlich würde die Beteiligungsgewinnsteuer vorwiegend KMU-Besitzer und Familienunternehmen treffen. Die Schliessung der «Steuerlücke Kapitalgewinne» muss also zwingend im Zusammenhang mit Änderungen bei der Vermögenssteuer verwirklicht werden, beispielsweise mit einer Entlastung des Beteiligungsvermögens, wie sie bereits im Kanton Luzern praktiziert wird.

Zur Kompensation der Steuerausfälle, die bei einer Senkung der Gewinnsteuersätze entstehen, wäre eine Erhöhung der Vermögenssteuer auf Immobilien, genauer auf Bodenwerte, sinnvoller. Da Boden in fixer Menge vorhanden ist, ist eine Besteuerung des reinen Bodenwerts insgesamt kaum verzerrend. Auch müsste es möglich sein, über den Verzicht auf eine Kompensation des kurzfristig anfallenden Steuerrückgangs nachzudenken. Studien zeigen nämlich, dass eine Senkung der Unternehmenssteuern die stärksten Wachstumseffekte generiert und sich somit weitgehend selbst finanziert.

Dieser Artikel erschien in «Finanz und Wirtschaft» vom 26.07.2014.