Die Nachricht: Ende November kommt die Ecopop-Initiative zur Abstimmung. Sie verlangt eine drastische Verminderung der Einwanderung. Denn Ecopop sieht insbesondere die zunehmende Überbevölkerung vor dem Hintergrund, dass die natürlichen Ressourcen der Erde begrenzt sind.

Der Kommentar: Wachstumsskeptiker haben Hochkonjunktur. Mehr als 40 Jahre nach der Veröffentlichung des Bestsellers «Grenzen des Wachstums» tischen sie immer noch die gleichen Argumente auf: Der materielle Wohlstand führe in die Sackgasse, die natürlichen Ressourcen würden übernutzt, das Bevölkerungswachstum gefährde die Lebensqualität. Von vielen Seiten werden die Schweizer zur «Décroissance» angehalten, darunter auch von fremdenfeindlichen, ökologisch gefärbten Ideologen, die sich ein autarkes Land wünschen. Wie viele Wähler diese hinter sich scharen, wird sich Ende November zeigen, wenn die Initiative «Ecopop» zur Abstimmung gelangt.

Doch wie materiell ist unser Wohlstand tatsächlich geworden? Werden wirklich immer mehr «Dinge» konsumiert? Gehen steigende Einkommen zwangsläufig mit einem höheren Materialverschleiss einher? Ein Blick auf die Zahlen kann die Debatte vielleicht auf eine etwas sachlichere Basis stellen. Zum Ersten zeigen die Zahlen eindeutig, dass wir reicher als früher sind. Das Bruttoinlandsprodukt (zugegeben, ein mangelhafter Indikator, der eher den Wert der Produktion als die Wohlfahrt misst) ist seit 1990 real um 40% gestiegen. In der gleichen Zeit hat das Gesamteinkommen pro Haushalt um 15% zugenommen.

Zum andern ist der Ressourcenverbrauch zu betrachten: Luft, Boden, Wasser, Biodiversität und vieles mehr. Doch entgegen den vielen Negativmeldungen aus den Medien zeigen die Umweltanalysen des Bundesamtes für Statistik, dass seit den 1990er-Jahren etliche Probleme entschärft wurden Die Luftqualität ist heute generell besser (Luftschadstoff und Feinstaubemissionen sind rückgängig), die Wasserqualität in Seen steigt (dank Rückgang der Nährstoffeinträge), der Trinkwasserverbrauch nimmt ab, die in Deponien entsorgte Abfallmenge nimmt nicht zu und die Treibhausgasemissionen wurden stabilisiert. Dies alles erfolgte trotz Wachstum – oder gerade dank ihm, weil sich eine reiche Gesellschaft eher um die Qualität ihrer Umwelt kümmert und die Mittel dazu hat.

Lassen sich all diese Verbesserungen in einer Zahl zusammenfassen, wie beim BIP? Hier ist die Rechnung schwieriger, denn es gilt, den Wert von natürlichen Ressourcen – intakten Landschaften, seltenen Eidechsen oder der reinen Luft – zu beziffern. Letztere sind jedoch alles «Leistungen», die uns die Natur nicht in Rechnung stellt und wofür Preisinformationen fehlen. Immerhin erfasst das Bundesamt für Statistik die Materialflüsse, d.h. die Tonnen Biomasse, Metalle, Mineralien und Fossilprodukte, die durch die wirtschaftlichen Aktivitäten verbraucht werden. Dies gilt als tauglicher Gesamtindikator für die Umweltbelastung.

Angesichts der Vermehrung konsumkritischer Stimmen mag die Entwicklung dieses Indikators überraschen: Seit 1990 hat der Pro-Kopf-Materialverbrauch nicht zugenommen. Der Verbrauch verharrte bei ca. 40 Tonnen pro Jahr. Stellt man diese Grösse im Verhältnis zum Wert der Produktion, also zum BIP, ist eine eindeutige Zunahme der Materialproduktivität festzustellen. Insgesamt sind Produktion und Konsum gut 20 Prozent weniger ressourcenintensiv als 1990. Dies gilt besonders für den durch Importe verursachten Ressourcenverbrauch. So war 1990 jedes Kilo Materialverbrauch mit einem Importwert von 60 Rappen assoziiert. 2012 konnte dieses Verhältnis beinahe verdoppelt werden. Aus gleich viel wird heute deutlich mehr gemacht.

Es gibt zudem gute Gründe zu vermuten, dass diese Statistiken das «ressourcenlose» Wachstum systematisch unterschätzen. Die Entmaterialisierung der Wirtschaft schreitet schneller voran als offiziell gemessen. Denn heute verbringen viele – darunter etliche Wachstumsgegner – täglich mehrere Stunden im Internet, wo ein Grossteil der Dienstleistungen praktisch kostenlos bezogen werden kann. So lässt Wikipedia, um nur ein Beispiel zu nennen, das BIP nur unwesentlich steigen, obwohl viele Konsumenten die Dienste der Online-Enzyklopädie intensiv beanspruchen. Einem tief gemessenen Produktionswert steht ein grösserer Nutzen für die Konsumenten mit minimalem Ressourcenverbrauch gegenüber. Innovationen wie diese machen klar, dass die Menschen nicht nur Ressourcen verbrauchen, sie schaffen welche.

Dieser Artikel erschien in der Schweiz am Sonntag vom 03. August 2014.