Milton Friedman (Quelle: Wikimedia Commons)

Milton Friedman (Quelle: Wikimedia Commons)

Auf kaum einen Ökonomen passt der Titel dieser Reihe so gut wie auf Milton Fried­man. Er war ein bedeutender For­scher, 1976 geadelt mit dem Nobel­preis, im für diese Ehrung jungen Alter von 64 Jahren. Aber er war auch Berater, Aufklärer, Lehrer, Publizist – und für seine Zeit fast ein Medienstar. Ob er, wie der vor kurzem verstorbene Chicagoer Ökonom Gary Becker (auch er Nobelpreisträger) 2006 in einem Nachruf schrieb, der einfluss­reichste Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts war, muss of­fenbleiben – aber abwegig ist die Aussage nicht.

Friedman wollte die Welt nicht nur verstehen, son­dern gestalten, und das hat er ge­tan, mit Auftritten auf Konferen­zen und im Fernsehen, Kolumnen in Zeitungen und Magazinen so­wie Beratungstätigkeit weit über die Vereinigten Staaten hinaus. Zu­gleich war er Inspirator für unzäh­lige Thinktanks. Sein wissenschaftliches Portfo­lio deckt viele Fragen der Wirt­schaftspolitik ab, aber sein Haupt­werk ist die mit Anna Schwartz veröffentlichte, 8oo-seitige «Mone­tary History of the United States, 1867 – 1960». Sie machte ihn ne­ben Karl Brunner und Allan Melt­zer zum bedeutendsten Vertreter des Monetarismus – der eloquen­teste war er ohnehin. Das Buch be­legt, dass die Weltwirtschaftskrise nicht auf ein Versagen der Märkte zurückging, sondern fast aus­schliesslich auf gravierende Fehler des intervenierenden Staates, näm­lich auf eine Unterversorgung mit Geld. Die aus dieser Erkenntnis abgeleitete Regel, dass Notenban­ken die Geldmenge im Gleich­schritt mit der Entwicklung der Produktivität ausweiten sollten, ist heute nicht mehr so en vogue wie in den 1970er und 198oer Jahren, aber was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Inflation ein rein monetäres Phänomen ist. Vielleicht gibt es in einigen Jahren, mit genügend Dis­tanz zum Geschehen, in der Tradi­tion Friedmans ein neues Stan­dardwerk, das zeigt, dass auch die Finanzkrise der letzten Jahre nicht auf Markt-, sondern auf Staatsver­sagen beruht: auf einer Überver­sorgung mit Geld. Damit würde der Friedmansche Monetarismus der Österreichischen Schule der Ökonomie die Hand reichen.

Als Mensch wie auch in seinem Werk bleibt Friedman durch Krea­tivität, Konsequenz und Witz in Erinnerung. Die Kreativität zeigte sich in vielen Vorschlägen, die er in seinem in über zehn Sprachen übersetzten Bestseller «Capitalism and Freedom» zusammenfasste. Bei ihrer Lancierung tönten sie geradezu revolutionär, inzwischen sind sie in vielen Köpfen angekommen und zum Teil umgesetzt worden. Zuvorderst darf man die Idee der Bildungsgutscheine (Vouchers) zur Finanzierung der Schulen erwähnen. Das Konzept würde Eltern die freie Schulwahl erlauben und die Schulen dem Wettbewerb aussetzen. Friedman und seine Frau Rose, ebenfalls eine hervorragende Ökonomin, waren so überzeugt davon, dass sie dafür eine Stiftung schufen und sie entsprechend alimentierten. Auch den Vorschlag, die Alterssicherung mittels individueller Altersvorsorgekonten statt auf der Basis staatlicher Sozialversicherungen vorzunehmen, verdanken wir Friedman. Er wurde von Chile bis Singapur und von Grossbritanien bis Mexiko umgesetzt.

In jüngster Zeit wird Friedman oft als Vater der Idee einer negativen Einkommenssteuer zitiert, weil ihn Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens als Kronzeugen missbrauchen. Dabei ging es Friedman nur darum, das heutige Wirrwarr von Unterstützungsbeiträgen durch eine einzige, gezielte Subvention für alle, die Unterstützung nötig haben, zu ersetzen. Zu Friedmans festen Überzeugungen gehörte, dass Menschen auf Anreize reagieren; ein «bedingungsloses» Einkommen passt daher sicher nicht zu dieser Überzeugung. Besonders viele Nachahmer konnte Friedman mit der Flat Tax gewinnen. Vor allem in Osteuropa fand sie nach der Wende grossen Anklang.

Friedman sprühte vor Ideen, es war eine Freude, mit ihm zu debattieren. Das Gespräch war aber zugleich fordernd, denn er argumentierte bis an die Schmerzgrenze konsequent. Viele empfanden dies als Arroganz, doch die meisten merkten mit der Zeit, dass der Mann im Gegenteil Loyalität und Wärme ausstrahlte. Am meisten spürte man es, wenn Milton und Rose Friedman zusammen auftraten – und das taten sie oft. Die Autobiographie der Friedmans «Two lucky people» beschreibt daher nicht nur den Aufstieg Milton Friedmans aus ärmlichen Verhältnissen einer jüdischen Einwandererfamilie aus dem Osten der Habsburgermonarchie zum Berater von Staatspräsidenten und Notenbankern, sondern auch eine bemerkenswert enge, fast 70 Jahre währende Ehe.

Seine messerscharfe Argumenta­tion führte Friedman zu auch unter Liberalen umstrittenen Positio­nen. Freiheit war für ihn ein Gan­zes, nie bloss auf die Wirtschaft be­schränkt. So trat er für Drogenli­beralisierung ein, gegen das Prostitutionsverbot und gegen die Mili­tärpflicht. Dabei war er alles ande­re als ein libertärer Staatsabschaf­fer; diese Rolle übernahm sein Sohn David. Zum Feindbild wur­de Friedman, als er das Pinochet­-Regime in Chile beriet und einige Chicago Boys dort Minister wur­den. Dabei folgte er nur der auch von Ordoliberalen vertretenen These, dass wirtschaftliche Frei­heit eine notwendige Vorausset­zung politischer Freiheit ist und wirtschaftliche Liberalisierungen ein totalitäres Regime auf Dauer nicht festigen, sondern unterminie­ren – eine Ansicht, die er auch mit Blick auf China vertrat.

So bedeutsam Friedmans Bei­trag zur Forschung auch war – im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen punktete er auch mit prägnan­ten Formulierungen und bezog sei­ne Wirkung auch daraus. Einige Bonmots zählen zum stehenden Zitatenschatz der Ökonomen: «The business of business is busi­ness», «Die staatliche Lösung für ein Problem ist gewöhnlich genau­so schlecht wie das Problem selbst», «Inflation ist Besteuerung ohne Gesetzgebung» und «Es gibt keine Gratismahlzeit». Für solche Sätze braucht es nicht nur Sachverstand und Formulierungsgabe, sondern auch feste Überzeugung – und die hatte der bekennende Li­berale Milton Friedman.

Dieser Artikel erschien in der «Frankfurter Allgemeine 
Sonntagszeitung» vom 10.08.2014.

Mit freundlicher Genehmigung der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung».