In letzter Zeit machen in der Schweiz auffällig viele Grossfusionen Schlagzeilen. Unter dem Radar bleiben nebst solchen «Megadeals» kleine Fusionen, die ebenfalls das Potenzial haben, volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten. Ist die Meldepflicht in der Schweiz zu permissiv ausgestaltet?

Fusionen können zu tiefgreifenden Veränderungen der Marktstruktur führen, vor allem, wenn Marktmacht geschaffen oder verstärkt wird. Folgen gesteigerter Marktmacht können Preiserhöhungen, Qualitätsabbau, verzerrte Anreize für Investitionen und Innovationen oder die Errichtung von Markteintrittsbarrieren sein. Die meisten Fusionen führen nicht zu so grosser Marktmacht, dass solche Auswirkungen zu befürchten wären. Real ist diese Gefahr jedoch bei Fusionen in konzentrierten Märkten. Um volkswirtschaftlich schädliche Fusionen zu verhindern, existiert heute deshalb in den meisten Ländern eine Fusionskontrolle. Typischerweise besteht diese aus zwei Elementen: den Aufgreif- und den Eingreifkriterien. Die Aufgreifkriterien legen fest, welche Fusionsvorhaben den Wettbewerbsbehörden gemeldet werden müssen. Es handelt sich in den meisten Ländern –so auch in der Schweiz– um Umsatzschwellen. Nur wenn die Umsätze der beteiligten Unternehmen gewisse Schwellenwerte überschreiten, muss eine geplante Fusion gemeldet werden. Die Eingreifkriterien legen hingegen die Regeln fest, nach denen eine Fusion beurteilt wird. Das Resultat einer solchen Beurteilung kann die Zulassung (allenfalls unter Auflagen) oder das Verbot einer Fusion sein.

650 Fusionen pro Jahr

Ob die mit der Fusionskontrolle angestrebten Ziele erreicht werden, ist Gegenstand einer wachsenden Literatur. Hierbei liegt der Fokus primär auf der Ex-Post-Evaluation von spezifischen Fusionsentscheidungen, d.h. es wird untersucht, ob die Wettbewerbsbehörden im konkreten Fall «richtig» entschieden haben. Was bis anhin jedoch kaum thematisiert wurde, ist die Frage, ob den Wettbewerbsbehörden überhaupt die relevanten Fusionen gemeldet werden müssen –nämlich jene Fusionen, die das Potenzial beinhalten, volkswirtschaftliche Wohlstandsverluste zu verursachen. Für die Schweiz scheint diese Frage besonders relevant, denn die im Kartellgesetz festgelegten Umsatzschwellen sind im europäischen Vergleich äusserst hoch angesetzt. Die Folge davon ist, dass in der Schweiz nur die wirklich grossen Fusionen meldepflichtig sind. Gerade für die kleinräumige Schweiz wird jedoch immer wieder die Befürchtung geäussert, dass auch kleinere Fusionen (lokal) schädliche Auswirkungen haben. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre es angebracht, ernsthaft über eine Senkung der Umsatzschwellen im Kartellgesetz nachzudenken.

Aber wie sollen in einem Land, in dem es keine verlässlichen Fusionsstatistiken gibt, systematische Aussagen über die Wohlstandseffekte von nicht-meldepflichtigen Fusionen hergeleitet werden? Dafür braucht es als Erstes einen strukturierten Überblick bezüglich der hiesigen Fusionstätigkeit. Einen solchen lässt sich mit Hilfe der Betriebszählungsdaten des Bundesamtes für Statistik erstellen, denn sie erlauben Rückschlüsse bezüglich der Besitzverhältnisse über einzelne Betriebe im Zeitablauf und somit auf getätigte Fusionen und Übernahmen (vgl. Karagök und Rutz, 2014). Die Auswertung der Daten für die Jahre 2001, 2005 und 2008 ergibt, dass in diesem Zeitraum knapp 9‘000 Betriebe den Besitzer wechselten, was einer Zahl von 4‘540 Fusionen entspricht. Im Durchschnitt waren also jährlich 650 Fusionen zu beobachten. Vergleicht man diesen Wert mit der durchschnittlichen Zahl der jährlich durgeführten Fusionskontrollverfahren, ergibt sich, dass rund 5% aller Fusionen meldepflichtig sind. A priori scheint dies –auch in einem internationalen Kontext– keine unvernünftige Zahl.

Da in der Betriebszählung die Branchenzugehörigkeit jedes Unternehmens bzw. Betriebs ausgewiesen wird, lassen sich zudem Aussagen darüber machen, in welchen Branchen besonders fleissig fusioniert wird. Abbildung 1 zeigt diejenigen Branchen (auf NOGA-2-Stufe), in denen im untersuchten Zeitraum mehr als 50 Fusionen vollzogen wurden. Aufgrund der Branchenzugehörigkeit der Betriebe lässt sich des Weiteren bestimmen, ob eine Fusion horizontaler oder nicht-horizontaler Natur ist: Beinahe die Hälfte der 4‘540 identifizierten Fusionen (48%) sind vertikal oder konglomerat. Dies ist insofern erstaunlich, als dass der überwiegende Teil der meldepflichtigen Fusionen horizontal ist. Die Erklärung, weshalb nicht-horizontale Fusionen eher selten auf dem Radar von Wettbewerbsbehörden erscheinen (und in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen werden), liegt darin, dass sie im Regelfall um einiges kleiner als horizontale Fusionen sind, sprich: die Umsatzschwellen, die eine Meldepflicht auslösen, werden nur vereinzelt erreicht.

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Effektives Melderegime?

Dass vor allem horizontale Fusionen im Netz der Wettbewerbsbehörden hängen bleiben, ist nicht weiter kritisch, denn es darf als internationaler Konsens bezeichnet werden, dass nicht-horizontale Fusionen in der Regel wenig problematisch sind –sie führen nämlich i.d.R. zu keiner Erhöhung der Marktkonzentration. Fraglich ist jedoch, ob –gegeben die äusserst toleranten Umsatzschwellen in der Schweizer Fusionskontrolle– auch wirklich diejenigen Fusionen erfasst werden, die problematisch sein könnten. Um diese Frage zu beantworten, muss in einem ersten Schritt abgeschätzt werden, welchen der rund 2‘500 identifizierten horizontalen Fusionen allenfalls ein wettbewerbsschädigendes Potenzial innewohnt. In einem zweiten Schritt kann dieses Resultat dann mit der effektiven Kontrolltätigkeit der Wettbewerbsbehörden verglichen werden.

Für eine grobe Beurteilung der Auswirkungen einer Fusion, wird in der Praxis oftmals auf der resultierenden Marktkonzentration abgestellt, wobei als Konzentrationsmass der Herfindahl-Hirschmann-Index (HHI) herangezogen wird. Übersteigt der HHI (bzw. die Veränderung des HHI) infolge einer Fusion gewisse Schwellenwerte, begründet dies die widerlegbare Vermutung, dass der Zusammenschluss dem Wettbewerb schadet. Die Berechnung der fusionsinduzierten Veränderung des HHI ist jedoch kein einfaches Unterfangen, da vorab die sachlich und räumlich betroffenen Märkte zu definieren sind. Solche Marktdefinitionen sind immer eine fallspezifische Angelegenheit, die Informationen über das Substitutionsverhalten von Nachfragern und Konkurrenten erfordern –Informationen, die für die rund 2‘500 identifizierten horizontalen Fusionen offensichtlich nicht vorliegen. Für die Marktdefinition wurde deshalb auf der feinst verfügbaren Branchengliederung (NOGA-5-Stufe) abgestellt und als Approximation für die Marktanteile dienten die betriebsspezifischen Beschäftigungszahlen. Mit dieser –zugegebenermassen behelfsmässigen– Marktdefinition lässt sich nun abschätzen, wie gross der Anteil jener Fusionen ist, die zu einer für den Wettbewerb bedrohlichen Marktkonzentration führen: Unter Anwendung der amerikanischen HHI-Schwellenwerte sind dies 22 Fusionen.

Welche dieser 22 Fusionen effektiv von der Wettbewerbskommission (Weko) geprüft wurden, lässt sich leider nicht mit Sicherheit bestimmen, da die Daten der Betriebszählung anonymisiert sind und somit keine Rückschlüsse auf die konkret involvierten Unternehmen erlauben. Immerhin kann aber analysiert werden, wie viele meldepflichtige Fusionen die Weko zwischen 2001 und 2008 im Rahmen von Vorprüfungen und vertieften Prüfungen in denjenigen Branchen untersucht hat, in denen die potenziell problematischen Fusionen vollzogen wurden (vgl. Tabelle 1). Aufgrund der Vielzahl der durchgeführten Fusionsverfahren in den meisten dieser Branchen kann geschlossen werden, dass eine gute Chance besteht, dass die als potenziell problematisch identifizierten Zusammenschlüsse gemeldet und geprüft wurden.

Tabelle 1: Problematische Fusionen und Kontrolltätigkeit der Weko (2001-2008)

Tabelle 1: Problematische Fusionen und Kontrolltätigkeit der Weko (2001-2008)

Es wäre sicherlich verfehlt, diese Resultate als «harte Evidenz» dafür interpretieren zu wollen, dass in der Schweiz trotz der permissiven Umsatzschwellen alle problematischen Fusionen der Meldepflicht unterliegen. Festgehalten werden darf aber, dass die Analyse keine Anhaltspunkte liefert, dass das schweizerische Melderegime fundamental versagt. Dies spricht gegen ein Absenken der Umsatzschwellen auf ein europäisches Niveau. Eine striktere Meldepflicht verursacht nämlich nicht nur für die Behörden und die betroffenen Unternehmen substantielle Kosten, sondern erhöht gleichzeitig auch die Zahl der Fälle, in denen Fehlentscheidungen getroffen werden können.

Literatur

Karagök, Y. and Rutz, S. (2014). «Towards optimal merger notification regimes: evidence from Switzerland», Journal of Antitrust Enforcement, 255-272; doi:10.1093/jaenfo/jnu006.

Dieser Artikel erschien in «Ökonomenstimme» am 22.Juli.2014.