Blick: Mit der Masseneinwanderungs-Initiative sind die bilateralen Verträge in Gefahr. Mit einem Ja zur Ecopop-Initiative wären sie hinfällig. Wie wichtig sind die Verträge mit der EU für die Schweiz?

Gerhard Schwarz: Ich halte das Freihandelsabkommen von 1972 sowie die Bilateralen I und II in ihrer Gesamtheit für ein massgeschneidertes Paket, das unseren Bedürfnissen gerecht wird. Und es gibt kein Land der Welt, das mit seinen Nachbarn keine vertraglichen Beziehungen pflegt.

Was würde bei einem Wegfall der Bilateralen passieren?

Ich weiss es nicht. Und ich bin überzeugt: Niemand weiss das. Weder jene, die behaupten, bei einem Wegfall gehe alles normal weiter, noch jene, die behaupten, die Schweiz würde in Chaos und Armut versinken. Irgendwo zwischen diesen Polen würden wir landen, aber wo genau, kann angesichts der Komplexität des Vertragsgebildes und der ungewissen Weiterentwicklung der EU niemand sagen. Mein Bauchgefühl ist, dass der Schaden so gross wäre, dass wir dieses Vertragsbündel keinesfalls gefährden sollten.

Wie gross wäre der Schaden?

Ein weitgehender Wegfall der Verträge würde zu Wachstumseinbussen führen. Bei jährlich einem Prozent ergäbe das nach zehn Jahren eine beträchtliche Einbusse an Wohlstand. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Den Entscheid vom 9. Februar haben viele als Warnsignal an Politik und Wirtschaft verstanden. Seither blieb die Zuwanderung gleich hoch. Agiert die Wirtschaft damit klug?

Die Wirtschaft ist sich der Problematik wohl bewusst. Aber man kann nicht einfach auf die Anstellung eines Informa­tikers verzichten, wenn man keinen Inländer für die Position findet. Sonst kommt es zu Engpässen. Und die bessere Ausschöpfung der nationalen Ressourcen kann nicht von heute auf morgen erfolgen. Es braucht etwa den Willen der älteren Leute, länger zu arbeiten. Es gibt viele, die mit 62 Jahren gerne in Pension gehen.

Mein Vater hätte gerne mit 57 noch weiter gearbeitet, war aber bei der Swisscom nicht mehr erwünscht.

Ich musste bei meinem früheren Arbeitgeber – der NZZ – Frühpen­sionierungen durchführen. Das ging mir sehr nahe, obwohl ich die Rationalität dahinter verstand: Für Unternehmen, die Kosten reduzieren müssen, sind Frühpensionierungen eine sozialverträgliche Form, weil ältere Arbeitnehmer relativ teuer sind und weil der Sozialstaat älteren Leuten ohne Job ein akzeptables Einkommen garantiert.

Es ist aber nicht sehr liberal, wenn sich ein Arbeitgeber auf das Auffangnetz des Sozialstaats stützt.

Sollten sich Unternehmen nicht der Institutionen bedienen dürfen, die wir geschaffen haben? Zudem wurden die Frühpen­sionierungen noch aus einem patronalen Fonds versüsst. Un­liberal ist das nicht, höchstens bequem.

Einige Politiker wollen zügig eine zweite Abstimmung über die Bilateralen. Ist das klug?

Bei einer Abstimmung allein über die Weiterführung der Bilateralen würde es wohl ein deutliches Ja geben. Wenn man die Abstimmung aber überlädt, mit einer Korrektur des Ergebnisses vom 9. Februar und mit einem institutionellen Rahmenabkommen, droht eine Koalition von Nein-Sagern.

Wie müsste man denn die Masseneinwanderungs-Initiative umsetzen?

Wir sind für ein langfristiges Globalziel, das vor allem dank freiwilliger Zurückhaltung eingehalten werden könnte. Scharfe Kontingente wären vorerst nicht nötig, sondern würden erst im Falle einer Zielverfehlung zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten.

Das wäre mit dem Verfassungstext nicht vereinbar.

Es nimmt dafür aber das Grundanliegen der Initianten ernst. Sie sagten, es gehe hauptsächlich darum, die Zuwanderung zu reduzieren. Dann sind die Grenzgänger nicht Teil des Prob­lems, sondern Teil der Lösung, weil sie nicht zuwandern, und dann kann man das auch mit einem Kontingent über fünf Jahre erreichen.

In der Verfassung stehen aber jährliche Kontingente und Inländervorrang.

Es gibt aber kaum eine Initiative, die man so wortwörtlich umgesetzt hat, wie man dies hier androht. Die direkte Demokratie verlangt Pragmatismus in der Umsetzung. Sonst landen wir dabei, dass Juristen alle Ini­tiativen im Vorfeld auf ihre Verträglichkeit mit der bestehenden Verfassung und mit dem Völkerrecht prüfen; dann entscheiden Richter. Gerade wenn man die direkte Demokratie bewahren will, braucht es Pragmatismus in der Umsetzung.

Die SVP zeigt sich sehr hart und droht mit Durchsetzungsinitiativen.

Damit missachtet sie die bisherige Praxis der direkten Demokratie. Und sie missachtet den Volkswillen. Womit ist diesem mehr gedient? Mit einem Kompromiss, der sich realisieren lässt oder mit einer so engen Interpretation des Textes, dass dieser an der aussenpolitischen Realität scheitert? Ich glaube, dass eine Mehrheit möchte, dass in Sachen Zuwanderung etwas unternommen wird, dass es aber keine Mehrheit für eine zu sture Zuwanderungspolitik gibt.

Das Interview erschien am 13. Oktober im «Blick».
Mit freundlicher Genehmigung des Blicks.