Podiumsdiskussion zum Thema «Energiesicherheit im offenen Markt» mit Urs Meister, Konstantin Staschus, Justus Haucap und Andreas Wenger (von links).

Podiumsdiskussion zum Thema «Energiesicherheit im offenen Markt» mit Urs Meister, Konstantin Staschus, Justus Haucap und Andreas Wenger (von links).

Mit der Realisierung des Energiebinnenmarktes sollen die Gas- und Strommärkte der EU weiter zusammenwachsen. Doch national unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Klimapolitik oder der Versorgungssicherheit drohen bereits heute die Effizienz des gemeinsamen Marktes zu schwächen. Welche Konsequenzen dies für die Versorgungssicherheit in Europa hat, war Thema einer gemeinsamen Veranstaltung von Avenir Suisse und dem «Center for Security Studies» der ETH Zürich (CSS), an der Konstantin Staschus, Generalsekretär der ENTSO-E sowie Prof. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie und Mitglied der deutschen Monopolkommission, referierten. Die anschliessende Diskussion wurde gemeinsam mit Urs Meister von Avenir Suisse geführt und von Prof. Andreas Wenger, Direktor des CSS, geleitet. Von der Aktualität des Themas zeugte das zahlreich erschienene Fachpublikum, was die Videoübertragung der Veranstaltung in einen zweiten Vorlesungssaal nötig machte.

Marktkopplung weit fortgeschritten

Konstantin Staschus betonte in seinem Eröffnungsreferat, Versorgungssicherheit und Klimaschutz, die beiden Kernziele der europäischen Energiepolitik, liessen sich nur gemeinsam erreichen. Der Haupttreiber für den derzeitigen Umbau der Stromversorgung sei der Klimaschutz. Die unberechenbaren Schwankungen der Wind- und Sonnenenergie machten nicht nur einen koordinierten Netzausbau, sondern auch einen über die Landesgrenzen hinweg abgestimmten Netzbetrieb notwendig. Die Netzentwicklung sei dabei das Werkzeug, um die Energiewende überhaupt bezahlbar und zuverlässig zu gestalten: «Je besser die Vernetzung, desto kleiner ist der Reservebedarf, und desto tiefer die Kosten für eine verlässliche Energieversorgung.»

Staschus führte aus, dass der Prozess zur europäischen Strommarktintegration gut voranschreite. So seien bereits rund drei Viertel des europäischen Marktes mittels «Market Coupling» zusammengeschlossen. Eine solche Marktkoppelung vereinfacht den grenzüberschreitenden Handel, indem Energie und Netzkapazitäten gemeinsam gehandelt werden. Marktkopplung nutze die Übertragungskapazität optimal, vermeide Fehlallokationen und spare damit Geld, so Staschus. Die Marktintegration werde ausserdem durch den Netzausbau weiter zunehmen. Gemäss Planungen würde die Interkonnektoren-Leistung im Schnitt bis 2030 verdoppelt – das bedeute 46‘000 km neue Leitungen. Nötig seien dafür rund 150 Mrd. € Investitionen. Stromverbraucher würden durch die bessere Vernetzung und die damit verbundenen Effizienzgewinne etwa die doppelte Summe einsparen.

Nationale Lösungen sind teurer

Justus Haucap zeigte in seinem Referat die drohende Zersplitterung des europäischen Marktes auf, die mit nationalen Lösungen bei der Förderung der erneuerbaren Energien und Kapazitätsmechanismen einhergehe. Eine gewisse Evidenz für eine solche Entwicklung gebe es offenbar aufgrund punktuell wachsender Preisdifferenzen zwischen europäischen Ländern.

Die Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen lasse sich theoretisch durch Marktversagen im Strommarkt rechtfertigen, etwa wenn Versorgungssicherheit als eine Art öffentliches Gut betrachtet werde, so Haucap. Allerdings würden Kapazitätsmärkte dadurch nicht in jedem Fall sinnvoll oder nötig. In erster Linie dienten Kapazitätsmechanismen als Instrument zur Verhinderung von kurzzeitig besonders hohen Preisspitzen im «Energy-only-Market». Denn oft sei nicht erkenntlich, ob temporär besonders hohe Preise eine Angebotsknappheit signalisierten, oder ob sie die Folge einer strategischen Kapazitätsrückhaltung seien, also ein Missbrauch von Marktmacht. Intervenieren Regulatoren mit Preisobergrenzen, könnte ein Kapazitätsmechanismus alternative Ertragsmöglichkeiten für die Betreiber von Spitzenlastkraftwerken schaffen. Dann aber handle es sich nicht mehr um ein Marktversagen, sondern um eine regulatorische Intervention, die einen Kapazitätsmechanismus nötig mache. In jedem Fall aber würden die nationalen Alleingänge bei der Implementierung von Kapazitätsmechanismen die Kosten für die Vermeidung eines (eher unwahrscheinlichen) Blackouts übermässig stark ansteigen lassen. Gerade weil die Spitzenlaststunden in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Zeiten anfallen, sollten die Vorteile der Integration für Kapazitätsmechanismen genutzt werden. Nationale Lösungen seiden zudem anfällig für Sonderinteressen und Protektionismus, und sie unterliefen die Vorteile des Binnenmarktes.

Quotenmodell für erneuerbare Energien

Auch die Produktion erneuerbarer Energien sollte nach Ansicht von Justus Haucap im Rahmen eines länderübergreifenden Systems koordiniert werden. Solarkraftwerke gehörten dorthin, wo die Sonne am häufigsten scheint. Das sei nicht in Deutschland, wo derzeit 36% der weltweiten Photovoltaik-Anlagen stehen. Ein Quotenmodell für Elektrizitätsversorger und bestimmte Endverbraucher würde gemäss Haucap Anreize setzen, erneuerbare Energien dort zu beziehen, wo sie am günstigsten produziert werden.

Auch Avenir-Suisse-Energieexperte Urs Meister bevorzugt für die Schweiz ein Quotenmodell anstelle der ineffizienten kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV).

Die Schweiz zieht nach

Für Meister stellt sich aus schweizerischer Optik weniger die grundsätzliche Frage, ob ein Kapazitätsmechanismus im Strommarkt nötig sei, sondern vielmehr, wie sich das Land verhalten soll, wenn seine Nachbarländer solche Mechanismen einrichten. Meister glaubt, dass die Schweiz faktisch dazu gezwungen werden könnte, analoge Veränderungen am Marktdesign vorzunehmen. Während Schweizer Konsumenten von Kapazitätsmechanismen im Ausland profitieren würden, kämen die Produzenten unter Druck. «Weil die Schweiz im Energiehandel das tiefere ausländische Preisniveau übernimmt, sinken die Ertragsmöglichkeiten der inländischen Kraftwerksbetreiber. Umgekehrt können sie keine Erträge aus einem Kapazitätsmechanismus erwirtschaften – ausser man lässt zu, dass z.B. ein Schweizer Speicherkraftwerk an einem ausländischen Kapazitätsmarkt partizipiert und dadurch seine Verfügbarkeit an den französischen statt schweizerischen Kapazitätsbedürfnissen ausrichtet.» Meister betonte einmal mehr, dass die Schweiz keine energiepolitische Insel sei –unabhängig vom Zustandekommens eines Stromabkommens oder vom Grad der Liberalisierung: «Die Schweiz wird sich am Marktdesign ihrer Nachbarn orientieren müssen.»