Edith Hollenstein: Herr Meister, Ihr Diskussionspapier empfiehlt, die SRG abzuschaffen, oder zumindest stark umzubauen (persoenlich.com berichtete). Die SRG, resp. der «Public Content Provider», soll keine eigene Verbreitungsplattform mehr haben und ohne Werbeeinnahmen auskommen. Sie wird zum NGO, zur multimedialen Nachrichten-Agentur. Was soll diese Agentur produzieren?

Urs Meister: Im Grunde funktioniert der Public Content Provider ganz ähnlich, wie die jetzige SRG: Eine gebührenfinanzierte Organisation mit öffentlich-rechtlichem Charakter produziert Inhalte mit lokalem und nationalem Bezug. Anschliessend verbreitet diese Organisation die Inhalte jedoch nicht selber, sondern stellt sie Dritten zur Verbreitung zur Verfügung. Die heutige Kernkompetenz der SRG – die Produktion audiovisueller Inhalte – bleibt auch im Modell des «Public Content Provider» weiter bestehen.

 Wer soll diese Inhalte verbreiten können? Verlage oder auch Blogger?

Zuerst möchte ich vorausschicken, dass dieses Modell auf längere Sicht angesetzt ist. Die Entwicklung der Medienlandschaft ist in einem solchen Zeitraum schwer zu prognostizieren. In zehn Jahren werden möglicherweise ganz neue Player im Markt sein, ganz neue Plattformen, die mediale Inhalte verbreiten. Es gibt ja heute schon viele Unternehmen, die auch im Medienmarkt tätig sind, obwohl dies nicht ihre Kernkompetenz ist. So beispielsweise Telekomanbieter, die plötzlich mit eigenen medialen Inhalten ihre Produkte differenzieren. Wer genau die Weiterverbreiter dieser Inhalte sind, ist im Grunde genommen nicht so wichtig. Relevant ist, dass solche Player auftreten werden und zwar in grösserer Zahl, als es sie heute gibt.

Könnte etwa auch Google diese Inhalte verbreiten und damit Werbegelder erwirtschaften? Haben Sie berücksichtigt, dass es den Playern ausschliesslich um die möglichst bequeme Distribution geht, ohne dass Sie journalistischen Nutzen erzeugen wollen?

Natürlich kann theoretisch auch eine rein technische Plattform die Inhalte übernehmen und verbreiten. Vermutlich aber werden vor allem Medienplattformen davon Gebrauch machen und die Inhalte in den Kontext eines eigenen Angebots integrieren oder mit eigenen Beiträgen, Kommentaren anreichern.

Ohne Quoten, Prestige oder gute Sendeplätze: Wer soll denn künftig bei der «neuen SRG» (oder dem «Public Content Provider») arbeiten?

Auch hier ist das Prinzip nicht fundamental anders als heute: Die Anreize für Journalisten sind weiterhin dieselben, nämlich ein gutes Produkt, gute Inhalte zu produzieren und viele Nutzer zu erreichen. Dies ändert sich im Vergleich zum heutigen Modell nicht. Schon heute ist ja die Zuschauermessung mit dem wachsenden nicht-linearem Konsum, Apps oder Hbb-TV viel schwieriger geworden. Nutzer und deren Zufriedenheit wird man künftig anders, vermutlich sogar besser ermitteln können – etwa über Social-Media-Kanäle.

Neben dem Vorschlag zur Reform der SRG beleuchtet Ihre Studie auch die Situation der Privaten. Welche Trends haben Sie eruiert, auf die Verlagshäuser reagieren sollten?

Bei der Förderung der Privatmedien wird heute im Wesentlichen zwischen Printprodukten, die vor allem von indirekter Medienförderung profitieren – MWST-Befreiung, vergünstigte Posttarife – auf der einen Seite, und direkt geförderten Radio- und TV-Anbietern auf der anderen Seite unterschieden.

In den Geschäftsmodellen stellen wir dagegen immer stärkere Konvergenz fest. Bei allen Verlagshäusern wird Online, resp. Mobile immer wichtiger. Das journalistische Angebot verschiebt sich ins Internet – insbesondere bei Tagesaktualität. Die Angebote konvergieren also auf der Plattform Internet, während die Förderung immer noch technologiespezifisch erfolgt, also Print, Radio oder TV. Hier haben wir einen Gap: Die Medienförderung entfernt sich immer mehr von dieser technischen und wirtschaftlichen Realität. Fazit: Man muss sich verabschieden von dieser technologiespezifischen Förderung, hin zu einem Regime, das Inhalte fördert.

Auf die Vorschläge der Eidgenössichen Medienkommission EMEK reagierten die Verlage stark abweisend und mit heftiger Kritik, insbesondere Norbert Neininger sprach sich in der NZZ vehement gegen die Abschaffung technologiebasierter Förderung aus.

Der Fokus der Förderung auf bestimmte technische Vertriebskanäle ist falsch. Wenn wir ja schon heute beobachten, dass Konsumenten vermehrt das Internet als alternativen Kanal nutzen, muss sich auch das Förderregime anpassen. Das Festhalten an der bestehenden technologiebasierten Förderung mit Fokus auf Radio, TV und Print würde den neuen Kanal benachteiligen. Damit schafft man erstens eine Wettbewerbsverzerrung. Zweitens resultieren strukturerhaltende Effekte. Und Drittens entsteht Umverteilung, denn es profitieren einseitig die Konsumenten der «traditionellen» Medien, häufig ältere Personen.

Damit verbunden ist ganz klar die Abschaffung der MWST-Befreiung und der Zustellverbilligung.

Ja. Denn wir plädieren dafür, dass die medialen Inhalte technologieneutral subventioniert werden. Egal welche Medien am Markt sind – ein Förderungssystem sollte mediale Inhalte fördern, unabhängig von ihrem Vertriebskanal. Jeder Akteur, der Inhalte produziert und verbreitet, soll potentiell von dieser Förderung profitieren können.

Welche Vorschläge machen Sie für die Geschäftsmodelle der Privaten? Sie erwähnen im Diskussionspapier «E-Commerce» und «Big Data».

Die Studie betrachtet unterschiedliche Geschäftsmodelle, die für Medien in Zukunft relevant sein könnten. Vor dem Hintergrund der Konvergenz, der geringeren Zahlungsbereitschaft der Online-Nutzer, der wachsenden internationalen Konkurrenz und der damit verbunden erodierenden Werbeerträge, fragt sich: Welche strategischen Optionen stehen den Medienhäusern offen? In einer dieser Optionen geht es darum, dass Medienhäuser verstärkt alternative Erträge erwirtschaften. Dieses Modell setzt auf E-Commerce. Natürlich können auch andere Unternehmen E-Commerce-Leistungen anbieten, doch könnten Medienhäuser hier womöglich einen strategischen Vorteil nutzen. Einerseits können sie über ihre medialen Angebote Nutzer auf ihre E-Commerce-Angebote weiterleiten. Anderseits lassen sich interessante Daten über das Nutzerverhalten entsprechend einsetzen, etwa für gezielte Werbung oder angepasste Angebote.

Als Übergangslösung schlagen Sie einen «Private Content Provider» vor, eine Weiterentwicklung der SDA. Könnte also die SDA langfristig durch die «neue SRG», den «Public Content Provider» abgelöst werden?

Der «Private Content Provider» könnte auf Basis der bestehenden Strukturen der SDA etabliert oder auch völlig neu geschaffen werden. Längerfristig würde das Modell durch die Transformation der SRG abgelöst, also durch die Schaffung des «Public Content Providers», der ja ebenfalls eine Form von indirekter Förderung für die privaten Medien darstellt. Das aber heisst nicht, dass es keinen privaten Content Provider im Sinne einer Nachrichtenagentur mehr geben könnte. Allerdings erhielte dieser keine Subventionen mehr und würde sich ausschliesslich durch den Verkauf seiner Inhalte finanzieren. Ein solches Unternehmen wäre kleiner als der zuvor subventionierte «Private Content Provider». Und vor allem müsste es Inhalte produzieren, die sich vom Angebot des subventionierten und mit einem Programmauftrag ausgestatteten «Public Content Providers» unterscheiden.

Avenir Suisse hätte auch vorschlagen können, die gesamte öffentlich-rechtliche Finanzierung zu stoppen. Warum müssen Ihrer Ansicht nach gewisse Medienleistungen weiterhin gebührenfinanziert sein?

Ja, zu diesem Schluss kann man kommen. Allerdings ist im Medienmarkt in den nächsten Jahren mit einer weiteren Konsolidierung und Internationalisierung zu rechnen. Das Angebot an Inhalten mit nationalem Bezug dürfte noch mehr unter Druck geraten und wahrscheinlich weiter ausgedünnt werden. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass es in der Gesellschaft und Politik einen Konsens geben wird, wonach es wichtig ist, eine gewisse Vielfalt im nationalen Markt zu fördern. Wenn dieser Konsens existiert, muss man sich aber auch Gedanken machen, wie man diese Förderung sinnvollerweise gestalten will. Deshalb präsentieren wir Vorschläge, wie das heutige Modell in ein zukunftsfähiges überführt werden kann.

Dieses Interview erschien auf dem Online-Portal «persoenlich.com» 
am 23. Oktober 2014.

Veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung von «persoenlich.com».