Der Glaube an die Lösung gesellschaftlicher und ökonomischer Probleme mit Regeln, Vorschriften und Geboten ist ungebrochen. Fast immer werden mit solchen Regulierungen hehre Absichten verfolgt (wenn diese auch nicht immer einer genaueren Prüfung standhalten). Und fast immer wirkt die einzelne Regulierung nur wenig freiheitseinengend und somit kaum bedrohlich; der Preis scheint sich jedes Mal zu lohnen.

Deswegen merken wir zum einen nicht, wie unser Leben, nicht nur in seiner wirtschaftlichen Dimension, sondern in all seinen Belangen, in ein Korsett gezwängt wird. Es geht uns wie Gulliver bei den Liliputanern, der im Schlaf mit feinsten Fäden gebunden wurde, von denen er jeden einzelnen nicht spürte und mit Leichtigkeit hätte zerreissen können. Irgendwann einmal aber waren es zu viele, und er war gefesselt.

Zum anderen gewöhnen wir uns, weil der Freiheitsverlust langsam geschieht, an das Korsett. Vom Sozialphilosophen Charles Handy stammt die These, Frösche, die man in siedendes Wasser werfe, versuchten, sofort wieder herauszuspringen; gebe man sie aber in lauwarmes Wasser und erwärme es langsam, blieben sie ruhig und fühlten sich wohl – bis es zu spät sei. Die Geschichte ist zwar wohl nur «ben trovato», aber als Gleichnis für das Verhalten der Menschen tut sie ihren Dienst. Wir empfinden nämlich, was die Vorväter als empörende Freiheitsbeschränkung empfunden hätten, zunehmend fast als angenehm, weil wir die Einengungen nicht auf einen Schlag, sondern schleichend erfahren.

Das Resultat dessen, dass wir die Freiheitsbeschränkungen kaum wahrnehmen, ist erschreckend: Innert zehn Jahren (2004-2014) ist der Seitenumfang der in der systematischen Rechtssammlung des Bundes erfassten geltenden Erlasse des Landesrechts und des Staatsvertragsrechts von rund 54 000 auf 66 000 Seiten gestiegen. Dabei wird eine Vielzahl von Gesetzen in dieser Sammlung gar nicht erfasst, etwa jene der Kantone und Gemeinden, besonders aber diejenigen der in den letzten Jahren immer aktiveren Aufsichtsbehörden wie der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA), der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) oder der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom).

Jene, die das Regulierungsdickicht allerdings nicht kalt lässt, sind die Eigentümer und Führungskräfte von Firmen. Erstens können Regulierungen sich für Betriebe mit tausenden Angestellten rasch zu einer beträchtlichen Belastung summieren. Zweitens sind Unternehmungen ein bevorzugtes Objekt regulatorischer Begierde. Drittens sind Wirtschaftsleute geübt, die oft erst mit Verzögerung eintretenden negativen Folgen von Regulierungen frühzeitig zu erkennen und diesen richtig zuzuordnen. Vor allem aber stehen, viertens, grosse wie kleine Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Ihre Vertreter sehen, was im Ausland zur Ausholzung des Regulierungsdschungels unternommen wird, und es ist für sie besonders beunruhigend, wenn sich die Schweiz, wie das in den letzten Jahren geschehen ist, nicht nur absolut, sondern auch relativ, im Vergleich mit ihren Mitbewerbern, verschlechtert. Das ist eine ernstzunehmende Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ihr Potenzial, Wohlstand zu generieren.

Mindestens so bedrohlich sind jedoch die gesellschaftlichen Nachteile der zunehmenden Regulierung. So verdrängt sie am Laufmeter die Eigenverantwortung. Je mehr staatliche Regeln es gibt, desto mehr glaubt man nämlich, seiner Verantwortung Genüge zu tun, wenn man diese Regeln einhält. Legalität tritt an die Stelle der Legitimität. Dann geht durch das Dickicht an Regulierungen, das von niemandem überblickt werden kann, das Vertrauen in Politik, Regierung und Behörden, kurz: in die Staatsgewalt, verloren. Schliesslich ist die Regulierung ein Nährboden für Schattenwirtschaft, Korruption und Umgehungen aller Art. Insofern ist das Regulierungsdickicht auf vielfältigste Weise ein Angriff auf die Fundamente der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Trotzdem hat das Thema der Regulierungsdichte in der Politik nicht jenes Gewicht, das es haben müsste – weil man damit kaum Wähler gewinnen kann. Dazu kommt noch, dass ausgerechnet die gleichen Unternehmen, die unter der Last der Regulierungen ächzen, ziemlich willig in regulierungsschwere Vereinbarungen mit dem Ausland einwilligen, wenn sie glauben, damit einen verbesserten Marktzugang erkaufen zu können. Dass die Umsetzung solch internationaler Verträge dann nicht mit Zurückhaltung, sondern mit helvetischem Perfektionismus erfolgt, ist ein Eigengoal, das wir uns oft schiessen. Dort, wo politisch kein Blumentopf zu holen ist, braucht es eine Institution wie Avenir Suisse, die unabhängig von politischer Zustimmung wichtige, aber wenig populäre Themen aufgreifen kann. Der Think-Tank wird sich vor diesem Hintergrund in Zukunft vermehrt mit Problemen der Regulierung und der Regulierungsdichte auseinandersetzen.

Im Diskussionspapier «Auswege aus dem Regulierungsdickicht» zeigt der Autor Peter Buomberger die absolute und relative Verschlechterung der regulatorischen Rahmenbedingungen in der Schweiz auf und stellt ein Programm mit sechs Eckpunkten zur Eindämmung der Regulierungsflut in der Schweiz vor. Es enthält Vorschläge für bessere Regulierungsinstrumente, für einen konstruktiven Dialog unter den involvierten Stakeholdern und für eine bindende Regulierungsbremse.