Jost Dubacher: Vor wenigen Wochen hat der Kanton Zürich einer Abstimmungsvorlage zugestimmt, gemäss der die Gemeinden bei Zonenplanänderungen Spezialzonen für vergünstigtes Wohnen ausscheiden können. Eine gute Idee?

Patrik Schellenbauer: Aus meiner Sicht nicht. Aber dieses Votum passt ins Bild. Wir stellen seit Jahren fest, dass man das Heil auf dem Immobilienmarkt in immer neuen Vorschriften und Verboten sucht. Früher war das ein Anliegen der Linken, heute sind derlei Forderungen bis weit in bürgerliche Lager hinein en vogue.

Aber wir haben doch ein Problem auf dem Wohnungsmarkt; namentlich in den grossen Städten haben die Mieten ein hohes Niveau erreicht.

Das stimmt für die Grossstädte. Insgesamt ist der Anteil der Wohnkosten am Einkommen aber nicht gestiegen. In den Städten ist der Haupttreiber der Bevölkerungsdruck: Zuwanderung aus dem Ausland, genau so aber aus dem Inland. Wohnraum in den Zentren ist so beliebt wie noch nie. Da in den Städten zu wenig neuer Wohnraum entsteht, führt der Nachfrageüberhang zu steigenden Preisen. Wenn es um Hemden oder Autos geht, wird dieses Marktprinzip von den meisten Menschen akzeptiert; beim Wohnen ist der marktwirtschaftliche Konsens aber bedenklich am Bröckeln.

Das Wohnen ist an vielen Fronten zum Politikum geworden. Worauf führen Sie das zurück? 

Das hängt mit der allgemeinen Verteilungsdebatte zusammen und dem Gefühl, die Schweiz werde immer ungerechter. Letztlich geht es um die Frage, wem die Aufwertung des Bodens zusteht, den Eigentümern oder den Mietern. Diese Debatte muss offen ausgetragen werden.

Wie lauten die Vorschläge von Avenir Suisse?

Eingriffe in den Markt beheben den Nachfrageüberhang nicht, sondern rationieren einfach den zu knappen Wohnraum. Die beste Lösung wäre deshalb die Verdichtung der Städte. Aber «Aufzonungen» werden oft mit dem Argument blockiert, dass davon vor allem die Grundbesitzer profitieren würden.

So falsch ist dieses Argument nicht …

Natürlich entstehen bei dieser Marktlage Mehrwerte durch solche administrativen Akte. Um Mehrheiten für Aufzonungen zu finden, könnte ein Teil der Rente über eine Mehrwertabgabe abgeschöpft werden. Dies wäre besser als der jetzt zu beobachtende Trend, die Missstände auf dem Wohnungsmarkt mit weiteren Vorschriften zu bekämpfen nach dem Motto: Wenn’s nicht funktioniert, more of the same.

Avenir Suisse nennt in diesem Zusammenhang immer wieder das Beispiel Genf. Was geht dort vor?

In Genf gibt es seit 1996 das Gesetz «sur les démolitions, transformations et rénovations» (LDTR). Es stipuliert bei Immobilieninvestitionen maximale Renditen, weshalb ein Eigentümer für Abrisse oder Sanierungen eine amtliche Bewilligung einholen muss …

… Baubewilligungen brauchen Sie überall in der Schweiz.

In den meisten Kantonen bedeutet eine Baubewilligung nur, dass Sie korrekt bauen. Was Sie bauen, wird nicht beurteilt. In Genf ist das anders. Die Folgen liegen auf der Hand: Es wird kaum mehr investiert. Wozu das letztlich führt, sehen Sie im Genfer Bahnhofsviertel. Es sieht dort nicht aus wie in einer prosperierenden Grossstadt. Denn was passiert? Wachstum und Investitionen werden ins französische Umland von Genf abgedrängt.

Droht das Beispiel Genf Schule zu machen?

In der Romandie besteht schon eine Tendenz in diese Richtung. Die Waadt kennt schon heute sehr strenge Bauvorschriften. Aber die jüngsten Abstimmungsergebnisse in der Deutschschweiz haben gezeigt, dass hier nun Ähnliches versucht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist der Formularzwang, der im Kanton Zürich seit 2013 gilt.

Können Sie einem Nichtzürcher erklären, worum es geht?

Wer eine Wohnung wieder vermietet, muss den Mietzins des Vormieters offenlegen. Damit hat der Nachmieter die Möglichkeit, den von ihm per Unterschrift akzeptierten, nach oben angepassten Mietzins anzufechten. Das soll die Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt dämpfen, hat aber – wie so oft bei Eingriffen ins Marktgeschehen – ungewollte Nebeneffekte: Um solchen Klagen aus dem Weg zu gehen, entscheiden sich viele Immobilienbesitzer für umfassende Sanierungen, denn die sanierten Wohnungen können wie Neuwohnungen (noch) frei vermietet werden. Der Verlust von günstigen Altwohnungen wird so über Gebühr beschleunigt. Das verstärkt den Regulierungsdruck weiter.

Avenir Suisse warnt also vor einer Regulierungsspirale, will aber auch den seit den 70er-Jahren geltenden Mieterschutz neu fassen. Ist das wirklich nötig?

Um es klar zu sagen: Es geht nicht um die Abschaffung jeglichen Mieterschutzes. Ein Sündenfall war unserer Meinung nach die Zinsanbindung der Mieten. Damit entzog man einen Grossteil der Mietwohnungen in unserem Land dem Spiel von Angebot und Nachfrage. Lange hat das einigermassen funktioniert, doch im gegenwärtigen Umfeld von Zuwanderung, Deflationsrisiken und Tiefzinsen versagt das System. Aufgrund der sinkenden Zinsen fallen auch die Bestandsmieten, obwohl sie eigentlich steigen müssten. Diese Scherenbewegung hat Folgen: Erstens steigt der Preisdruck bei Mieterwechseln in Bestandsobjekten, was man mit Regelungen wie der Formularpflicht zu verhindern versucht; und zweitens sehen wir starke Mietpreissteigerungen bei Neubauten.

Was wiederum den Bau von neuen Wohnungen anheizt. Was sagen Sie aus liberaler Sicht dazu?

Leider wird nicht da gebaut, wo die Nachfrage am grössten ist: in den Zentren. Die Grenzen des Booms sind deshalb absehbar. Das Volk hat mit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative und der Revision des Raumplanungsgesetzes zweimal bekräftigt, dass es die weitere Zersiedelung begrenzen will. Die Politik schiebt die entscheidende Frage vor sich her: Wer trägt die «Last der Verdichtung»?

Folgt man Ihrer Argumentation, haben viele gutgemeinte Regelungen zum Schutz der Mieter einen eher schädlichen als nützlichen Effekt?

Nehmen sie nur die angedachte Verschärfung der Lex Koller; eine Art Kapitalverkehrskontrolle für den Immobilienmarkt. Eigentlich müssten die Mieter doch froh sein um mehr Kapital für den Immobilienmarkt, denn dies vergrössert das Angebot und führt zu sinkenden Mieten. Trotzdem ist der organisierte Mieterschutz für eine vermehrte Abschottung. Für mich ist derlei unbegreiflich.

Was droht Ihrer Meinung nach, wenn sich an der gegenwärtigen Dynamik von Regulierung und steigender Nachfrage mittelfristig nichts ändert?

Ich möchte mit einer Analogie aus dem Arbeitsmarkt antworten. Sehen wir uns Länder mit einem stark ausgebauten Kündigungsschutz an. Es gibt dort jene Glücklichen, die einen Job haben, und die Arbeitslosen, die kaum Chancen haben, zu vernünftigen Konditionen eine Arbeit zu bekommen. Im Schweizer Wohnungsmarkt beobachten wir diese Zweiteilung ebenfalls. Wer eine günstige Wohnung hat, gibt sie kaum noch auf; und wenn sich seine ökonomischen oder familiären Verhältnisse ändern, wird er versuchen, die Wohnung unterzuvermieten. Darauf muss dann der Gesetzgeber mit neuen Vorschriften antworten; so wie die Stadt Zürich, die jetzt gegen die sogenannten Papiermieter in ihren Wohnungen vorgehen will.

Die Umsetzung der Einwanderungsinitiative könnte mittelfristig zu einer sinkenden Nachfrage führen. Lösen sich die Probleme auf dem Wohnungsmarkt von alleine?

Schön wär’s. Aber ich habe meine Zweifel und deshalb wünsche ich mir, dass sich die Vermieter und Investoren klarer artikulieren und ein glaubwürdiges Gegengewicht zur um sich greifenden Regulierungswut aufbauen. Ich sehe auch die Pensionskassen in der Pflicht. Ihre Aufgabe ist es, zur Sicherung der Renten Rendite zu erzielen, und nicht, den Interessen der Mieter zu dienen. Deshalb muss man sich als Vermieter ja nicht unanständig verhalten.

Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 04.11.2014.
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».