Was hält Avenir Suisse von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens? «agile – Behinderung und Politik» hat nachgefragt. Lukas Rühli, Projektleiter bei Avenir Suisse, hat zu drei Thesen Stellung genommen.

1. These: Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht einen Paradigmenwechsel: Die Menschen werden erstmals als freie, autonome, souveräne Individuen auf eigene Füsse gestellt.

Stellungnahme Lukas Rühli: Ein Paradigmenwechsel fände statt, in der Tat. Allerdings nicht in die beschriebene Richtung: Die Menschen sind schon heute frei, autonom und souverän. Entsprechend wird von ihnen gefordert, selber für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, sofern ihre geistige und körperliche Verfassung das zulässt.

Mit dem Grundeinkommen soll nun neu eine «Erstversorgung» durch den Staat erfolgen. Das Individuum schiebt die Verantwortung für seine (finanzielle) Existenzsicherung auf die Allgemeinheit ab. Was das mit Autonomie und Souveränität zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.

Freiheit kann nur einhergehen mit Eigenverantwortung. Wer nicht eigenverantwortlich handelt, beschränkt früher oder später die Freiheit seiner Mitmenschen (konkret zwingt er sie im Falle des Grundeinkommens dazu, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften).

Natürlich ist es im Einzelfall unangenehm, dem Druck ausgesetzt zu sein, eigenes Geld zu verdienen. Die meisten von uns sahen sich wohl schon irgendwann einmal dazu «gezwungen», eine nicht sehr erfüllende Arbeit bloss ihrer finanziellen Anreize wegen anzunehmen. Viele davon werden aber wohl bestätigen, dass dieser Druck «damals» heilsam war und ihnen letztlich langfristig zu grösserer Autonomie verhalf.

2. These:Das bedingungslose Grundeinkommen beseitigt die Armut, verhindert Stigmatisierung und stärkt die Solidarität.

Für die wirklich Hilfsbedürftigen stellt das Grundeinkommen keinen Fortschritt dar. Die finanzielle Unterstützung durch die herkömmlichen Instrumente zur sozialen Sicherung übertrifft das Grundeinkommen oft deutlich. Vom Grundeinkommen profitieren also einzig jene, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen wollen, obwohl sie eigentlich könnten.

Langfristig wird das die Solidarität gefährden: Auf den Arbeitswillen einer schon gut ins Erwerbsleben integrierten Person hätte das Grundeinkommen wahrscheinlich erst einmal keine drastischen Auswirkungen. Wenn wir uns jedoch Jugendliche vorstellen, die ab dem 19. Altersjahr monatlich 2500 Franken bedingungslos auf die Hand kriegen, dann fällt es schwer zu glauben, dass sie alle, ohne den Druck Geld zu verdienen, genügend unternehmen, um sich langfristig nicht selber zu entmündigen. Genau jene mit ohnehin geringen Verdienstaussichten werden sich aus dem Arbeitsmarkt verabschieden bzw. ihn gar nicht erst betreten. Das Ganze endet in einer Zweiklassengesellschaft, in welcher der eine, arbeitende, Teil den anderen, nicht arbeitenden, Teil mit immer höheren Abgaben finanzieren muss. Der Zusammenbruch eines solchen Systems ist vorprogrammiert.

3. These:Das bedingungslose Grundeinkommen vereinfacht unsere Sozialwerke und entlastet insbesondere die Sozialhilfe.

Die ursprüngliche Idee des Grundeinkommens war es in der Tat, alle anderen Instrumente zur sozialen Sicherung abzuschaffen. Das hätte allerdings auch bedeutet: Jeder erwachsene Mensch erhält Monat für Monat ein Grundeinkommen in einheitlicher Höhe, ganz egal, ob er an schweren körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen leidet und ständig auf fremde Hilfe angewiesen ist oder ob er kerngesund ist, aber einfach keine übertriebene Lust verspürt, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

Dass das für einen aufgeklärten Staat einen riesigen Rückschritt darstellen würde, ist auch den Verfechtern des aktuellen Vorstosses klar. Sie sind sich darum weitestgehend einig, dass das Grundeinkommen die bisherigen Instrumente nicht komplett ersetzen soll, sondern einfach die ersten 2500 Franken der herkömmlichen Instrumente neu in Form des Grundeinkommens ausbezahlt werden, während für darüber hinausgehende Bedürfnisse weiterhin die klassischen Sozialversicherungen aufkommen sollen. Klar kommuniziert wird das allerdings selten, denn dann wäre schnell klar, dass mit der versprochenen Vereinfachung des heutigen Systems und dem Abbau der Bürokratie doch nicht zu rechnen ist.

Der Beitrag erschien bei «agile – Behinderung und Politik».
Mit freundlicher Genehmigung von agile.ch

Weitere Informationen zum bedingungslosen Grundeinkommen im avenir standpunkte «Einkommen ohne Grund».