PRO

Jérôme Cosandey, Avenir Suisse

Jérôme Cosandey, Directeur romand und Forschungsleiter Finanzierbare Sozialpolitik, Avenir Suisse

Die heutige Pflegefinanzierung wird von vielen als unfair empfunden. Wer beim Pflegeheimeintritt noch Kapital besitzt, muss den Aufenthalt selber zahlen, wer nicht, wird mit Ergänzungsleistungen unterstützt. Sparen für die Alterspflege wird bestraft, Konsum belohnt. Avenir Suisse schlägt deshalb die Bildung eines obligatorischen individuellen Pflegekapitals vor.

Die angesparten Mittel sind im Pflegefall für alle Leistungen einsetzbar, ob Pflege oder Betreuung, ob zu Hause oder im Heim, je nach Präferenz. Damit wird Einfachheit im Dschungel der Pflegefinanzierung geschaffen. Wer schon einmal eine Heimrechnung gesehen hat, weiss, wovon die Rede ist. Heute werden die Pflegekosten auf die Krankenkasse, die kantonale Gesundheitsdirektion und den Patienten verteilt. Letzterer zahlt auch die Betreuungs- und Hotelleriekosten, es sei denn, er bezieht Ergänzungsleistungen. Dann springt die Sozialdirektion ein. Mit dem Pflegekapital wäre alles aus einer Hand finanziert. Das Pflegepersonal müsste nicht mehr akribisch notieren, was von wem bezahlt wird, sondern könnte sich vermehrt den Patienten widmen. Im Gegensatz zu anderen Pflegeversicherungen handelt es sich hier nicht um eine zentrale, anonyme Umverteilungsmaschine. Nein, hier spart jeder auf seinem Konto Gelder an, die er für die eigene Alterspflege brauchen kann. Die nicht verwendeten Ersparnisse werden im Todesfall vererbt. So wird die Unterstützung der Angehörigen honoriert, der schonende Umgang mit Ressourcen angespornt und die Eigenverantwortung gestärkt. Das Modell sieht auch solidarische Elemente vor. Kann eine Person die Prämie nicht zahlen, soll der Staat, analog zur heutigen Regelung für Krankenkassenprämien, den Bürger entlasten. Damit bleibt ein soziales Auffangnetz bestehen. Der Staat kommt jedoch nur subsidiär statt mit der Giesskanne zum Zug.

CONTRA

Toni Bortoluzzi, Nationalrat Kanton Zürich (SVP)

Toni Bortoluzzi, Nationalrat Kanton Zürich (SVP)

Die Demografie, und die damit verbundene zunehmende Herausforderung der pflegebedürftigen älteren Personen in unserem Land, lässt den Ruf nach einer Pflegeversicherung lauter werden. Es braucht allerdings keine neuen Einrichtungen, um dieser Herausforderung gerecht zu werden. Wenn es sich als notwendig erweisen sollte, können mit Korrekturen in den bestehenden Sozialversicherungen die notwendigen Massnahmen durchaus getroffen werden. Allerdings sehe ich aus heutiger Sicht keinen Handlungsbedarf. Es gibt Aufgaben, die der Solidarität vorbehalten bleiben sollen. Krankheit und Pflege sind sozialpolitisch unbestritten Aufgabe der Gemeinschaft. Es wäre verfehlt und systemwidrig, wenn nun einzelne Teile davon durch Vorsorge im Kapital deckungsverfahren herausgebrochen würden. Auch wenn man sich nicht generell gegen mehr Eigenverantwortung ausspricht, wäre die Langzeitpflege im Alter der falsche Ansatz dafür. Die Alterspflege ist Teil der gesundheitlichen Einschränkung und soll nach wie vor durch die Solidarität in der Krankenversicherung, durch die öffentliche Hand und durch zumutbare Beiträge der Betroffenen finanziert werden. Ich bezweifle zudem den volkswirtschaftlichen Nutzeneiner weiteren Vorsorge im Kapitaldeckungsverfahren für die Alterspflege, wie sie von der Organisation Avenir Suisse vorgeschlagen wird. Bereits heute haben die Verantwortlichen für die Anlagen der Vermögen aus der 2. Säule Mühe, die rund 700 Milliarden Franken im Interesse der Versicherten vernünftig anzulegen. Mit neuem obligatorisch angespartem Vorsorgekapital verschärft sich die Anlageaufgabe weiter. Der Ausbau der obligatorischen Abgabelast für soziale Zwecke wird vor allem auch weitere Kreise des Mittelstandes in finanzielle Abhängigkeit von Sozialleistungen bringen. Nachdem die Prämienverbilligungen beispielsweise bereits an über 30 Prozent der Versicherten ausbezahlt werden, ist dieser Entwicklung unbedingt Einhalt zu gebiete.

Der Beitrag erschien in «senso 04/2014», das Gesundheitsmagazin der Helsana.