So vielfältig die globale Think-Tank-Landschaft ist, einiges haben die wichtigsten «Ideenfabriken» gemeinsam: sie bilden eine Brücke zwischen Akademie und Politik – und sie müssen immer mehr  Ressourcen in die Kommunikation  stecken, damit ihre Ideen in der öffentlichen Debatte auf Resonanz stossen.

Vom 4. Bis 6. Dezember fand in Genf der Global Think Tank Summit statt. Zu diesem Anlass fanden sich internationale Vertreter der weltweit wichtigsten «Ideenfabriken» ein. Neben namhaften Think Tanks wie dem britischen Chatham House, der US-amerikanischen Brookings Institution, und dem europäischen Think Tank Bruegel waren ebenfalls zahlreiche Länder aus dem asiatischen (China, Japan, Indien, Pakistan, Bangladesch), australischen, arabischen und afrikanischen Raum vertreten. Auch Avenir Suisse war von der Partie – und ist neben dem World Economic Forum (WEF) einer der beiden Schweizer Think Tanks im Ranking der einflussreichsten westeuropäischen Ideenfabriken des 2013 Global To Go Think Tank Report. Dieses Ranking wird jährlich unter der Leitung von Professor Jim McGann vom TTCSP-Institut der University of Pennsylvania erstellt.

Vielfältige Think-Tank-Landschaft

Auf dem Gipfeltreffen ist einmal mehr klar geworden, wie unglaublich vielfältig die weltweite Think-Tank-Landschaft ist: Etablierten Institute mit bedeutenden finanziellen Mitteln sind ebenso vertreten wie kleine Strukturen, die um ihr Überleben kämpfen müssen. Diese Vielfalt spiegelt sich in der Art der Finanzierungen wider: Manche Einrichtungen werden von staatlichen, andere von öffentlichen oder privaten Geldern finanziert, wieder andere aus einer Mischung von alledem. Die behandelten Themen sind ebenso breit gefächert: Es gibt Institute die alle Arten von Themen abdecken und solche, die auf ein bestimmtes Thema spezialisiert sind, beispielsweise nachhaltige Entwicklung oder internationale Beziehungen. Manche Institute sind politisch vollkommen unabhängig, während andere ihre –frei gewählte oder in den entsprechenden Gründungsstatuten festgelegte – Nähe zu einer bestimmten Partei oder politischen Strömung offen zur Schau tragen.

Brücke zwischen Wissenschaft und Politik

All diesen Think Tanks ist eines gemein: Sie alle schlagen eine Brücke zwischen akademischer und politischer Welt und ermöglichen so den Austausch zwischen beiden. Universitäten begünstigen ja gemeinhin Forschung und Lehre, haben aber für gewöhnlich nicht die Mittel, und oft auch nicht die Motivation, am politischen oder wirtschaftlichen Tagesgeschehen teilzunehmen. Die Politik hingegen, und zwar im weitesten Sinne (Regierungen, Verwaltungen, Parteien), ist im Gegensatz dazu mit der kurzfristigen Verwaltung jenes Tagesgeschehens, oder mit taktischen Manövern in Hinblick auf die nächste Wahl zu beschäftigt und hat keine Zeit, sich umfassend mit neuen Meinungen auseinander zu setzen. Think Tanks funktionieren als Verbindung zwischen diesen beiden Welten. Ihre Aufgabe ist es, langfristig neue und disruptive Ideen zu entwickeln.

Ohne Leser kein Impact

Diese – theoretisch exzellenten – Ideen müssen jedoch in der öffentlichen Debatte auf Resonanz stossen, um die Politik der Zukunft nachhaltig beeinflussen zu können. Diese Aufgabe ist umso schwieriger in einer Welt, in der Dauerkommunikation zu einem Massenphänomen geworden ist, und wo der Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums, und insbesondere der Entscheidungsträger, so hart ist wie noch nie. In dieser Hinsicht befinden sich Think Tanks in einem ständigen Wettstreit mit den Medien, Lobbys, politischen Parteien, der Werbung und, über soziale Netzwerke, mit den Bürgern selbst. Um nur ein Beispiel zu nennen: Über ein Drittel der der von der Weltbank (zugegebenermassen kein Think Tank, aber trotz allem einer der bedeutendsten Verfasser wirtschaftlicher Studien) im Internet veröffentlichten Jahresberichte werden niemals heruntergeladen, nicht ein einziges Mal. Ohne Leser kein Impact. Diese Lektion in Sachen Bescheidenheit kann grausam sein. Unabhängig von der Qualität ihrer Arbeit müssen Think Tanks also immer mehr Zeit und Ressourcen auf die Kommunikation und Verbreitung ihrer Inhalte verwenden. Die einfache und verständliche Darstellung komplexer Inhalte ist eine gewaltige Herausforderung.

Genf als ideale Plattform

Aber natürlich ist auch die Tatsache, dass Genf als Plattform für eine solche internationale Begegnung ausgewählt wurde, kein Zufall. Ein oberflächlicher Eindruck mag nahe legen, dass die Schweiz im allgemeinen Interesse der Weltöffentlichkeit keine Rolle zu spielen scheint. Die Wahrheit ist: alle Interessen jener Weltöffentlichkeit spielen sich in Genf ab – und damit in der Schweiz. Denn in den Augen dieser Think Tanks ist Genf die Schweiz und umgekehrt. Ob Gesundheit, Abrüstung, Frieden, internationaler Handel oder Internet-Governance – alle wichtigen Akteure auf diesen Gebieten sind bereits in Genf. Die Stadt ist Standort der Ständigen Vertretungen von fast 170 Ländern, internationalen Organisationen sowie zahlreichen NGOs. Der Wert dieser Netzwerke wird durch Think Tanks und ihre Fähigkeit, neue Ideen zu generieren, enorm gesteigert. Die Universitäten der Genferseeregion können hierbei eine bedeutende Rolle spielen. Das Graduate Institute (IHEID) hat das bereits verstanden und durch den Empfang der Think Tanks in seiner Maison de la Paix umgesetzt. Der Bund, der Kanton Genf und die Fondation pour Genève haben sich ebenfalls dafür engagiert, dass dieses Gipfeltreffen in der Stadt Calvins und dem Sitz des UNO-Sekretariats stattfinden kann. (Und das letzten Endes auch ohne Streik des öffentlichen Personennahverkehrs). Die langfristigen Folgen dieses ersten erfolgreichen Global Think Tank Summit bleiben unklar. Dazu könnten aber unter anderem längere Besuchsaufenthalte internationaler Think Tanks in den dafür vorgesehenen Strukturen der Weltorganisation für Meteorologie gehören. Und schliesslich natürlich auch weitere jährliche Gipfeltreffen in Genf. Das wäre ein zusätzlicher Trumpf für die Schweiz und die erneute Bestätigung ihres Potenzials, brillante Köpfe aus der ganzen Welt auf neutralem Boden und ohne versteckte Agenda zusammen zu bringen, damit sie sich bereits heute über die Ideen von morgen austauschen.

Dieser Artikel erschien in «Le Temps» vom 15. Dezember 2014.