Vor vier Jahren wurden die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen per Gesetz dazu verpflichtet, sich innerhalb von zehn Jahren zu 100 Prozent auszufinanzieren oder ein Minimum von 80 Prozent Deckung bis 2052 zu erreichen. Diese Debatte ist noch immer in vollem Gang, wie eine Diskussion zwischen Jérôme Cosandey von Avenir Suisse und Stéphane Riesen von Pittet Associés zeigt.

Betrachtet man den Deckungsgrad der öffentlich-rechtlichen Kassen schweizweit, nimmt er tendenziell von Osten nach Westen ab. Ein Röstigraben? Jérôme Cosandey ist überzeugt, dass «die Westschweizer mehr Vertrauen in die Rolle des Staats haben als die Deutschschweizer, die die Perennität ihrer Kasse bevorzugen». Stéphane Riesen ist damit einverstanden. Er betont, dass «die Frage der Finanzierung in der Deutschschweiz nicht in die Zukunft vertagt werden darf». In der Romandie sei man stärker langfristig orientiert.

Vollkapitalisierung versus Teilkapitalisierung

Bis auf wenige Ausnahmen hat sich die Vollkapitalisierung in der Deutschschweiz bei den öffentlich-rechtlichen Pensionskassen durchgesetzt. Cosandey erinnert daran, dass der Bundesrat ursprünglich die Vollkapitalisierung als einzige Option vorgesehen hatte. «Damals entsprach die Perennität des Staats nicht der neuen Situation […], aber die Staatsfunktionen können sich ändern, genauso wie deren Perimeter.» Cosandey erwähnt die vielen Gemeindefusionen, die das Argument der unterschiedlichen Behandlung der öffentlich-rechtlichen Kassen untergraben würden: «Man muss auf eine Deckung von 100 Prozent gehen.»

Riesen stellt eine Grundsatzfrage: «Will man lieber alles sofort bezahlen, um sich auf die Eventualität des Austritts einer Einheit aus der Kasse vorzubereiten, oder will man warten, bis ein solches Ereignis eintritt und man weiss, wieviel es kosten wird?» Auch Cosandey sieht hier den Kern der Debatte um Voll- respektive Teilkapitalisierung. Er geht davon aus, dass eine Vollkapitalisierung mit einer Disziplinierung der Vorsorgeeinrichtung einhergehe. Er kritisiert, dass man bei der Teilkapitalisierung Leistungen verspreche, ohne genau anzugeben, wieviel dies den Steuerzahler kosten werde: «Man macht implizite Schulden.» Aus diesem Grund hält er die Vollkapitalisierung für ehrlicher und transparenter, vor allem gegenüber zukünftigen Generationen. Die Teilkapitalisierung hingegen sei gefährlich, da man sich in Bezug auf Anzahl und Langlebigkeit der Staatsangestellten grossen Unbekannten gegenüber sehe.

Riesen greift hier opponierend ein, eine vollkapitalisierte Kasse könne sich nicht dem Risiko der Langlebigkeit entziehen: «Es wurde einfach ein anderer Modus Vivendi entschieden, a priori aber bezahlen die Versicherten für das zerschlagene Geschirr.» Riesen hält die volle Deckung nicht für notwendig. Man müsse aber zumindest alle Verpflichtungen gegenüber Rentnern decken sowie einen Teil der Verpflichtungen gegenüber Aktiven.

Auf den Ausfinanzierungsprozess angesprochen und darauf, wer diesen finanzieren müsste, sind sich Riesen und Cosandey einig, dass die Kosten zwischen Arbeitgeber und Versicherten aufgeteilt werden müssten.

Leistungsprimat versus Beitragsprimat

Das Leistungsprimat steht in der Kritik und weicht in der Tendenz immer mehr dem Beitragsprimat. Riesen findet, dass keines der beiden Systeme besser oder schlechter sei. Ausschlaggebend sei, welche Hebel zur Lenkung einer Pensionskasse angesetzt würden und wer der Risikoträger sei. «Der Trend liegt beim De-Risking. Das Risiko wird auf die Versicherten abgewälzt.» Dies führe dazu, das Leistungsprimat auf dem letzten Lohn aufzugeben und sich auf ein System einzulassen, bei dem nicht der letzte Lohn, sondern die gesamte Karrieredauer ausschlaggebend sei.

Cosandey sieht eine Erklärung für das Verschwinden des Leistungsprimats im Bedürfnis nach Transparenz und der Möglichkeit, die Risiken zu steuern. Es sei jedoch falsch zu behaupten, dass der Versicherte im Leistungsprimat kein Risiko trage. Diese würden vor allem bei Sanierungen zur Kasse gebeten, wenn die Rentenversprechen nicht mehr gehalten werden könnten. Riesen mahnt an, dass aber im Beitragsprimat der Versicherte direkt belangt werde, ohne dass sich der Arbeitgeber beteilige. Im Leistungsprimat hingegen würde ein Sanierungsbeitrag verlangt, der auf Arbeitgeber und Versicherte verteilt werde.

Ist der Sonderfall noch gerechtfertigt?

Bei der Frage, ob es nicht logischer wäre, die öffentlich-rechtlichen Kassen denselben Regelungen wie die anderen Vorsorgeeinrichtungen zu unterwerfen, sind sich Riesen und Cosandey einig. Man solle aufhören, erstere gesondert zu behandeln. Es handle sich lediglich um eine andere Art, die Schulden oder Einnahmen eines Kantons zu verwalten. Riesen liefert ein schönes Schlusswort: «Würde man heute eine öffentlich-rechtliche Kasse gründen, geschähe dies auf der Grundlage der Vollkapitalisierung.»

Die Originalversion dieser Zusammenfassung erschien auf 
französisch im «Prévoyance Professionnelle Suisse 12/14».