Die Schweiz ist ein Energie-importland. Das gilt vor allem beim Erdöl, das noch immer mehr als die Hälfte des schweizerischen Energiebedarfs abdeckt. Sinkende Ölpreise stimulieren daher die Konjunktur. Der Einfluss erfolgt über unterschiedliche Transmissionskanäle: Erstens steigen mit den tieferen Energieausgaben die verfügbaren Haushaltseinkommen, was sich positiv auf den inländischen Konsum auswirkt. Zweitens senken die tieferen Erdölpreise die Produktionskosten vor allem bei den Industrieunternehmen. Drittens profitieren exportorientierte Unternehmen von einer stärkeren weltweiten Konjunktur und damit einer höheren Nachfrage. Daneben kann eine Ölpreisveränderung weitere indirekte Effekte nach sich ziehen, etwa wenn die Veränderung der Energiepreise von den Konsumenten als anhaltend betrachtet wird, sodass sie Ausgaben für dauerhafte Güter wie Automobile oder Immobilien anpassen.

Wie stark aber beeinflusst der Erdölpreis die Konjunktur? In Erwartung wachsender Ölknappheit fokussierten Studien in den vergangenen Jahren vor allem auf den Einfluss steigender Preise. Basierend auf Modellschätzungen wurde Anfang des 21. Jahrhunderts häufig eine Faustformel angewendet, wonach im OECD-Raum ein permanenter Ölpreisanstieg um 10 $ das reale Wirtschaftswachstum um rund 0,5 Prozentpunkte dämpft und die Inflation um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Der Einfluss manifestiert sich grösstenteils bereits im ersten Jahr nach dem Ölpreisanstieg. Für die Schweiz wurden etwa ähnliche Werte angenommen. Zwar sind aufgrund der relativ hohen Energieeffizienz die direkten Effekte auf die Konjunktur etwas geringer als in vielen OECD-Ländern, hingegen dürfte der Einfluss einer veränderten Weltkonjunktur auf den Aussenhandel im schweizerischen Kontext stärker sein. Allerdings wurde die Faustformel entwickelt, als der nominelle Ölpreis noch ein relativ tiefes Niveau aufwies (bis 2003 unter 30 $ /Barrel).

Eine Untersuchung der SNB aus dem Jahr 2009 schätzt, dass ein temporärer Ölpreisanstieg um 10 Prozent das reale Wirtschaftswachstum in der Schweiz im darauf folgenden Quartal um 0,06 Prozentpunkte senkt. Zu einem vergleichbaren Resultat kommt eine Studie, welche den Einfluss des stark steigenden Ölpreises während der Periode 2003 bis 2008 untersucht. Auf Jahresbasis geht mit einer Preiserhöhung um 39 Prozentpunkte ein Rückgang des realen BIP-Wachstums um 0,52 Prozentpunkte einher. Umgerechnet würde ein Preisanstieg um 10 Prozent zu einer Reduktion des BIP-Wachstums um etwa 0,13 Prozentpunkte führen. Der Effekt lässt sich gemäss der Analyse in erster Linie auf einen tieferen Privatkonsum sowie geringere Maschinen- und Ausrüstungsinvestitionen zurückführen. Der berechnete negative Einfluss auf das reale BIP ist leicht grösser als in der SNB-Studie. Das dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass es sich um einen anhaltenden Preisanstieg handelt, während in der SNB-Studie ein Preisschock unterstellt wird, der sich nach einigen Quartalen verflüchtigt.

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2013 lag der Ölpreis pro Barrel (Nordseesorte Brent) bei durchschnittlich 109 $ – umgerechnet etwa 101 Fr. (Kurs 0,93 $ /Fr. ). Mitte Januar 2015 lag der Preis bei rund 48 $ – bei aktuellem Wechselkurs sind das rund 42 Fr. Um den positiven Effekt der tieferen Ölpreise auf die Konjunktur zu schätzen, lassen sich vereinfachend die oben errechneten Effekte eines positiven Ölpreisschocks umgekehrt anwenden. Die in Schweizerfranken gemessene Ölpreissenkung um fast 60% könnte demnach – bei sonst gleichen Bedingungen –  das BIP-Wachstum um etwa 0,4 bis 0,8 Prozentpunkte ansteigen lassen. Dieser positive Impuls kann die negativen Effekte eines starken Schweizerfrankens auf die Konjunktur mindestens teilweise kompensieren. Entscheidend für die Grösse und Nachhaltigkeit des stimulierenden Effekts ist allerdings die Frage, ob der Ölpreis tatsächlich über längere Zeit auf dem tiefen Niveau verharrt.