aus: Wo bitte diktiert der Markt? Schweizer Monat, Juni 2015

«Eine wirtschaftspolitische Agenda für die Schweiz» präsentierten vor 20 Jahren verschiedene Wirtschaftsführer und Professoren mit dem sogenannten «Weissbuch». Sie wünschten dem wachtumsschwachen und lethargischen Land einen «neuen ordnungspolitischen Anlauf», um es für die Herausforderungen der Globalisierung und der (sich ankündigenden) Informationsgesellschaft fit zu machen. Aber diese Forderungen fanden kein Wohlwollen, im Gegenteil wurden die Autoren des Buches mit einem medialen Aufschrei in die Wüste geschickt. Immerhin wurden mit den Jahren einige der vorgeschlagenen Reformen umgesetzt – und bis heute hat das Land wieder zu ansehnlichem Wachstum zurückgefunden. Ist die Schweiz nun eine funktionierende Marktwirtschaft? Leider nein. Die Fakten sprechen eine andere Sprache, wie man bei der Analyse verschiedenster Bereiche erkennen kann.

  1. Die Fiskalquote liegt nahe bei 50%: Je mehr Kaufkraft abgeschöpft wird, je mehr reguliert wird, desto weniger bleibt für den einzelnen zu entscheiden. 1965 lieferten die Schweizer 12% ihres Einkommens in Steuern ab. Heute liegt die entsprechende Zahl bei 27%. Aber die «erweiterte Fiskalquote», die man erhält, wenn man zu den reinen Steuern alle Zwangsabgaben an die privaten Sozialversicherungen addiert, beläuft sich auf knapp 48%.
  2. In den Sozialversicherungen wird massiv umverteilt: Mit der Einführung der Schuldenbremse auf Bundesebene (übrigens eine der Forderungen des Weissbuchs) wurde zumindest vordergründig den Steuererhöhungen ein Riegel geschoben. Ein neues Feld für staatliche Umverteilung sind deshalb die Sozialversicherungen. Allein 2014 betrug der Finanzierungsbedarf der öffentlichen Pensionskassen 44 Mrd. Fr. oder 69‘000 Fr. je Versicherten. Auch wenn die regionalen Unterschiede gross sind – hier wird massiv zulasten kommender Generationen umverteilt.
  3. Die Bürokratie ist eine Wachstumsbranche: Nicht nur Unternehmen müssen einen immer grösseren Aufwand für die Bewältigung der Regulierungen erbringen. Vergleichbare Entwicklungen gibt es in der Medizin oder in der Bildung. Dass nun das Cassis-de-Dijon-Prinzip für Lebensmittel wieder aufgehoben werden soll, hilft wohl vordergründig der Landwirtschaft, wird aber die Preise in die Höhe treiben und besonders die schwächeren Haushalte treffen.
  4. Preisbildungen sind selten wirklich frei: Die Grundidee einer Marktwirtschaft liegt darin, dass sich Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt finden können. In vielen Bereichen sind die Märkte verbarrikadiert und eine freie Preisbildung wird gar nicht ermöglicht. Ein Paradebeispiel ist die Koppelung der Mieten an die Hypothekarzinsen –europaweit ein Unikum. Die Folge davon ist, dass ältere Menschen ihre oft viel zu grosse Wohnung kaum aufgeben, während junge und mobile Haushalte das Nachsehen haben.

Und immer noch empören sich weite Teile der Bevölkerung über «zuviel Markt». Die Realität spricht, wie man sieht, eine andere Sprache. Doch selbst wenn die Kritiker recht hätten: Was ist eigentlich so schlimm am Zusammenspiel von oft nur einigen, meist aber unzähligen Menschen, die autonom entscheiden? Marktentscheidungen kommen, gemäss der berühmten Formulierung von Adam Ferguson «by human action, not by human design» zustande. Märkte sind also nichts anderes als Verbindungen von Menschen, die selbständig handeln. Ist die Weisheit von staatlichen Ämtern und Aufsichtsbehörden wirklich grösser als die Schwarmintelligenz der Marktteilnehmer? Der geringe Anteil wirklicher Märkte am gesamten Wirtschaftsgeschehen lässt darauf schliessen, dass viele Menschen das zu glauben scheinen.

Wo bitte diktiert der MarktDies ist die Zusammenfassung des Texts «Wo bitte diktiert der Markt?», der im «Schweizer Monat» vom Juni 2015 publiziert wurde. Ein PDF des vollständigen Texts finden Sie hier.