Swiss Engineering: Herr Meister, warum ist der Strompreis so tief im Moment?

Urs Meister: Sie sind in erster Linie aufgrund der angespannten Konjunktur in Europa und der da­ mit verbundenen geringen Stromnachfrage respektive des Kraftwerksüberangebots tief. Gleichzeitig sind die Preise für Kohle, Gas und CO2-Zertifikate relativ tief, wodurch die Betriebskosten der fossilen Kraftwerke gering sind. Das Kraftwerksüberangebot wird ausserdem durch die wachsende Einspeisung der subventionierten erneuerbaren Energien akzentuiert – in Deutschland dürfte der da­mit verbundene preissenkende Effekt (Merit­ Order-Effekt) etwa 10 bis 13 Euro pro Mwh betragen. Mindestens teilweise überträgt sich dieser Effekt auch auf die Schweiz.

Wie wirkt sich der tiefe Preis auf die Branche aus?

Die Branche ist unter Druck. Sie muss Wertberichtigungen und Rückstellungen vornehmen. Mittelfristig könnten Kapital­erhöhungen nötig werden, um die Bilanzen zu stabilisieren. Daneben denken einige Unternehmen über eine völlige Neuausrichtung des Geschäftsmodells nach – ein Beispiel ist etwa E.ON in Deutschland.

Bleibt der Preis tief?

Im Moment gibt es wenig Hinweise darauf, dass die Preise bald deutlich ansteigen werden. Im Forewardmarkt für Deutschland bleiben die Preise bis 2021 unverändert tief. Und vor allem gibt es kaum Anzeichen, dass Konjunktur und Wirtschaftswachstum in Europa bald signifikant anspringen und damit die Nachfrage nach Strom stimulieren. Daneben dürften die in manchen europäischen Ländern vorgesehenen Kapazitätsmechanismen dazu beitragen, dass es im Markt anhaltend Kraftwerks-Überkapazitäten gibt.

Wie reagiert die Branche?

Die Unternehmen haben unterschiedliche Strategien, um auf die Veränderungen zu reagieren. Ganz allgemein wurden die Investitionsbudgets zurückgefahren. Der Fokus ist eher auf den erneuerbaren Anlagen mit regulierten Erträgen. Einige Unter­nehmen versuchen, ihr Produktportfolio zu diversifizieren, etwa mit Energiedienstleistungen. Damit lässt sich aber das Kraftwerksbusiness nicht ersetzen. Daneben reagiert die Branche vor allem mit Forderungen nach Subventionen. In vielen europäischen Ländern verlangen die Betreiber konventioneller Kraftwerke ausserdem die Anpassung des Marktdesigns. Dazu gehört die Einführung von Kapazitätsmärkten.

Was erwartet Avenir Suisse von der Politik, wie soll die Politik reagieren?

Die Politik sollte nicht mit zusätzlichen Subventionen in den Markt eingreifen. Damit verbunden wären unerwünschte Verteilungseffekte – Subventionen für die bestehende Wasserkraft wären eher eine Art Finanzaus­gleich zwischen den Kantonen – oder ineffiziente Produktions- und Investitionsanreize, vor allem bei einer Subventionierung via KEV. Energiemärkte sind zyklisch. Die Preise werden wieder ansteigen und entsprechende Ertragsmöglichkeiten bieten. Investoren müssen mit diesen Zyklen umgehen können. Daneben wird man längerfristig die Frage des Marktdesigns adressieren. Doch sollte die Schweiz keine Insellösung implementieren, sondern sich mit den Nachbarn koordinieren.
Dieses Interview erschien in der Mai-Ausgabe des Magazins 
«Swiss Engineering STZ» Mit freundlicher Genehmigung von Swiss Engineering.