Die Veränderungen der Kräfteverhältnisse zwischen Aktiven und Pflegebedürftigen aufgrund der Pensionierung der Babyboomer stellt unsere Gesellschaft vor grosse Herausforderungen. Einerseits werden Personalressourcen für die Pflege fehlen, sowohl im familiären wie im beruflichen Umfeld. Andererseits werden die Kosten der Sozialversicherungen signifikant steigen.

Zuerst die gute Nachricht: Wir werden immer älter und bleiben immer länger jung. Die Lebenserwartung steigt, und dies zum grossen Teil bei guter Gesundheit. Gleichzeitig, als Folge des Wohlstands, bekommen Frauen weniger Kinder. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in der Schweiz bei 1,5 Kinder pro Frau und liegt damit deutlich unter dem nötigen Wert von 2,1 Kinder pro Frau, die eine konstante Bevölkerungsgrösse sichern würde. Ein längeres Leben bei tieferer Geburtenrate führt zu einer Alterung der Gesellschaft. Konnte man früher von einem breiten Familienstammbaum sprechen, so gleichen die heutigen Generationenstrukturen eher einem langen, schmalen Bambusstock. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Generationenvertrag sowohl im «Kleinen», in der Familie, als auch im «Grossen», sprich bei der staatlichen sozialen Sicherheit.

Ein Generationenvertrag unter Druck

Zuerst führt ein längeres Leben zu neuen Krankheitsbildern. Dank dem medizinischen Fortschritt überleben mehr Menschen Herzinfarkte und Krebserkrankungen. Dafür leiden sie zunehmend unter chronischen Beschwerden (z.B. Alzheimer). Ehepartner und Verwandte sind bei der Pflege solcher Fälle besonders gefordert und kommen oft an ihre eigenen Grenzen. Die Alterung der Gesellschaft beeinträchtigt diese Form des Generationenvertrags, weil die Betreuungsaufgabe auf den Schultern von immer weniger Freiwilligen lastet (siehe Abbildung). Dieser demographische Trend wird durch Veränderungen unserer Gesellschaft verschärft. Mit der Urbanisierung sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Kind in unmittelbarer Nähe der Eltern bleibt. Längere Arbeitswege und unregelmässige Arbeitszeiten erschweren regelmässige Betreuungsdienste innerhalb der Familie. Schnell bei den Eltern über Mittag vorbeizuschauen, ist für viele Berufstätige nicht mehr möglich.Folie 1

Können Ehepartner und Kinder ihren betagten Angehörigen nicht mehr helfen, müssen diese durch Fachpersonen, ambulant oder stationär, gepflegt werden. Auch hier fordert die Alterung ihren Tribut, weil der Topf potentieller Fachkräfte kleiner wird. In der Schweiz wird sich bis 2030 das Verhältnis der aktiven Bevölkerung zu den Hochaltrigen halbieren, bis 2050 sogar dritteln.

Zuletzt gefährdet die Alterung der Gesellschaft die Finanzierung wichtiger Sozialversicherungen. So zum Beispiel die im Umlageverfahren organisierte AHV. Nach diesem «Durchlauferhitzer»-Prinzip zahlen die Erwerbstätigen via Lohnbeiträge die laufenden Renten der heutigen Rentner. Mehr Rentner, die länger leben, müssen durch immer weniger Erwerbstätige finanziell unterstützt werden. Auch die Finanzierung der Alterspflege ist von dieser Entwicklung tangiert. Diese stützt sich auf drei Pfeiler: Pflege, Betreuung und Hotellerie. Für die letzteren beiden zahlt der Betagte aus eigener Kasse. Die Pflegekosten werden zwischen Krankenkassen, der öffentlichen Hand und den Heimbewohnern aufgeteilt. Die Prämien der Krankenkassen werden pro Kopf und unabhängig vom Alter festgelegt. Da die meisten Gesundheitskosten in den zwei Jahren vor dem Tod entstehen, bedeutet dies eine, durchaus gewollte Subventionierung der Alten durch die Jungen. Auch die staatliche Finanzierung der Pflege setzt eine hohe Solidarität zwischen den Generationen voraus, weil die Restkostenfinanzierung im ambulanten wie im stationären Bereich, sowie Betreuungs- und Hotelleriekosten von Bezüger von Ergänzungsleistungen durch Steuermitteln sichergestellt wird. Eine Schätzung des Steueramtes des Kantons Zürich zeigt, dass 73% der kantonalen Einkommens- und Vermögenssteuern von Steuerzahlern unter 65 Jahren geleistet werden.

«Ambulant UND stationär»

Um die finanziellen und personellen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu meistern, wird der schonende Umgang mit knappen Ressourcen besonders wichtig. Im Bereich der Alterspflege heisst es nicht nur die Effizienz von Spitex-Organisationen und von Alters- und Pflegeheimen, sondern auch die Effektivität der ganzen Altersversorgungskette zu optimieren. «Ambulant vor stationär» lautet oft die Maxime. Auch wenn dieser Grundsatz häufig finanziell sinnvoll ist, stimmt er nicht für jede pflegebedürftige Person. Je nach Situation übersteigen die täglichen Spitex-Kosten bereits nach 90 bis 120 Minuten Tagespflege die Tagespauschale eines Pflegeheims. Der Grund liegt darin, dass Heime ihre Ressourcen effizienter einsetzen können. Es bestehen keine unproduktiven Anreisewege und die Mitarbeiter können besser entsprechend ihren Kompetenzen – hochqualifiziertes Personal für die Pflege, weniger qualifiziertes für die Betreuung – eingesetzt werden. Die Maxime soll viel mehr «ambulant UND stationär» heissen. Dabei sollen vermehrt neue, intermediäre Lösungen zwischen dem Verbleib zu Hause und dem Heimeintritt berücksichtigt werden.

So können neue Wohnformen eine ressourcenschonende Zusammenarbeit zwischen Generationen ermöglichen. Beim «Service-Wohnen» zum Beispiel können die Bewohner nach Bedarf spezielle Dienste abrufen. Solche Siedlungen haben ihre eigenen Restaurants, Coiffeursalons, Ärzte und sogar Pflegeabteilungen. Senioren können dort in ihren beschwerdefreien Jahren einziehen und mit der Zeit immer mehr individuelle Hilfsangebote in Anspruch nehmen. Die Angehörigen besuchen sie dort umso lieber, weil die gemeinsame Zeit so voll ausgenutzt werden kann.

Eine weitere Alternative sind betreute Demenz-Wohngemeinschaften. Sie bieten weitestgehend den Betreuungskomfort eines Heims, haben aber keinen «Institutionscharakter». Solche Wohngemeinschaften existieren bereits in Deutschland, Frankreich, Österreich und Schweden. In den Kantonen Waadt und Wallis laufen Pilotprojekte. Die Wohngemeinschaften richten sich an Menschen mit Demenz, die nicht auf intensive Pflege angewiesen sind, jedoch aufgrund des Fortschritts ihrer Krankheit nicht mehr allein zu Hause leben können. Die ca. sechs Bewohner einer solchen Wohngemeinschaft werden während 24 Stunden professionell betreut. Die Anzahl Bewohner wird bewusst klein gehalten, um den familiären Charakter der Struktur zu wahren. Es soll nach Braten schmecken, damit Bewohner und Angehörige animiert werden, beim Einkaufen und Kochen mitzuwirken. Somit können die Angehörigen eine aktive Rolle im Generationenvertrag einnehmen, die besser mit ihrer Wohn- und Arbeitssituation vereinbar ist. Gleichzeitig halten sie durch eigene Leistungen die Pflegekosten tief.

Ein vererbbares Pflegekapital als neue Finanzierungsform

Nebst der Eindämmung der Kostenentwicklung muss auch die Frage, wie diese Kosten aufgeteilt werden, adressiert werden. Viele empfinden die heutige Pflegefinanzierung als unfair. Wer beim Pflegeheimeintritt noch Kapital besitzt, muss den Aufenthalt selber zahlen, wer nicht, wird mit Ergänzungsleistungen unterstützt. Sparen für die Alterspflege wird bestraft, Konsum belohnt. Avenir Suisse schlägt deshalb die Bildung eines obligatorischen, individuellen und vererbbaren Pflegekapitals vor. Die angesparten Mittel sind im Pflegefall für alle Leistungen einsetzbar, ob Pflege oder Betreuung, ob zu Hause oder im Heim, je nach Präferenz.

Damit wird Einfachheit im Dschungel der Pflegefinanzierung geschaffen. Wer schon einmal eine Heimrechnung gesehen hat, weiss wovon die Rede ist. Heute werden die Pflegekosten auf die Krankenkasse, die kantonale Gesundheitsdirektion und den Patienten aufgeteilt. Letzterer zahlt auch die Betreuungs- und Hotelleriekosten, es sei denn, er bezieht Ergänzungsleistungen. Dann springt die Sozialdirektion ein. Mit dem Pflegekapital wäre alles aus einer Hand finanziert. Das Pflegepersonal müsste nicht mehr akribisch notieren, was von wem bezahlt wird, sondern könnte sich vermehrt den Patienten widmen.

Im Gegensatz zu anderen Pflegeversicherungen handelt es sich hier nicht um eine zentrale, anonyme Umverteilungsmaschine. Nein, hier spart jeder auf seinem Konto Gelder an, die er für die eigene Alterspflege brauchen kann. Die nicht verwendeten Ersparnisse werden im Todesfall vererbt. So wird die Unterstützung der Angehörigen honoriert, der schonende Umgang mit Ressourcen angespornt und die Eigenverantwortung gestärkt.

Der Beitrag erschien bei der Walder Stiftung im Juni 2015. 
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie im Buch  «Generationenungerechtigkeit überwinden» 
(Avenir Suisse, Juni 2014).