In seinem Gastbeitrag plädiert Professor Thomas Cottier dafür, die Frage der Europäischen Währungsunion (EWU) über ökonomische Überlegungen hinaus vor allem historisch und geopolitisch zu beurteilen (NZZ 8. 7. 15). Dabei zieht er auch Parallelen zur Schaffung der Währungsunion Schweiz, die von 1848 bis zur verfassungsmässigen Einführung der direkten Bundessteuer 1959 insgesamt 110 Jahre gebraucht habe. Dieser Gedankenansatz vernachlässigt aus politökonomischer Sicht einige wichtige Unterschiede.

Einfluss der Finanzmärkte auf die Wirtschaft

Bildquelle: Fotolia / Eisenhans

1848 entstand in der Schweiz mit der Gründung des Bundesstaates eine politische Union mit klaren föderalen Strukturen. Der Bund verfügte nicht nur über ausschliessliche wirtschaftspolitische Kompetenzen, sondern in Form der Zölle auch über eine eigene Einnahmequelle. In währungspolitischer Hinsicht übertrug die neue Bundesverfassung die Münzhoheit zwar dem Bund und schaffte damit den neuen Schweizer Franken, aber die Ausgabe der Banknoten erfolgte bis zum Banknotengesetz von 1881 praktisch ohne Staatsintervention durch die Banken, wie im vorzüglichen Werk von Ernst Baltensperger «Der Schweizerfranken – Eine Erfolgsgeschichte» nachzulesen ist. So zählte man in der Zeit zwischen 1825 und 1906 (vor der Gründung der Schweizerischen Nationalbank) 51 Emittenten von Papiergeld.
Mit der Gründung des Bundesstaates entstand somit in der Schweiz ein integriertes Wirtschafts- und Währungsgebiet. Die schweizerische Entwicklungsgeschichte unterscheidet sich somit in einem wesentlichen Punkt von derjenigen der EWU, indem hier zuerst die Währungsunion geschaffen wurde. Sie bestätigt auch die historische Erfahrung, dass eine politische Union ohne Währungsunion funktionieren kann, hingegen der umgekehrte Fall auf Dauer kaum überlebensfähig ist. Bei der Schaffung der EWU, die vom Werner-Bericht 1970 bis zur Einführung des Euro 2002 reicht, und die Cottier begeistert nachzeichnet, wäre wohl etwas weniger politischer Eifer und dafür etwas mehr ökonomischer Sachverstand nützlicher gewesen. So sind denn auch die Erwartungen der Politik, Sachzwänge würden nach den Vorstellungen von Jean Monnet die nötigen Kettenreaktionen auslösen und so gleichsam selbst gesteuert zu einer Vertiefung der wirtschaftlichen und politischen Integration führen, enttäuscht worden. Weder haben sich auf diesem Weg die konvergente Wirtschaftsentwicklung und ein homogener Wirtschaftsraum eingestellt, noch hat die im Maastricht-Vertrag verankerte Eigenverantwortung der Mitgliedländer zu einer Stabilitätsgemeinschaft geführt.
«Harte» Regeln lassen sich, wenn überhaupt, nur in einer politischen Union institutionalisieren, sonst werden sie immer wieder gebrochen oder missachtet. Schliesslich sind die Nutzen der EWU, die in erster Linie auf der mikroökonomischen Ebene anfallen (geringere Transaktionskosten), überschätzt worden, dagegen wurden die makroökonomischen Kosten in Form der Einschränkung makroökonomischer Anpassungsmöglichkeiten der Mitgliedländer unterschätzt. Das zeigt sich jetzt in der Staatsschulden- und Griechenland-Krise besonders dramatisch. Von Jürg Niehans, dem grossen Schweizer Ökonomen des letzten Jahrhunderts, stammt die Aussage:  «Die Ökonomie lässt sich nicht bescheissen.» Das müssten sich auch gewisse EU-Politiker hinter die Ohren schreiben.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 17. Juli 2015. 
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».