Lobbyismus wird allgemein als interessengeleitete Beeinflussung und Beratung von Regierung und Parlament verstanden. Nur allzu schnell wird die zunehmende Regulierung, Verrechtlichung und Bürokratisierung gerne dem Lobbyismus pauschal in die Schuhe geschoben. Nach der im Frühjahr bekannt gewordenen Weitergabe von Dokumenten der Aussenpolitischen Kommission an eine Lobbying-Agentur, die für Kasachstan tätig war, ist dieser noch stärker in die Kritik geraten. Der Ruf nach strengeren Regeln, die dem Einfluss der Lobbyisten nicht nur engere Schranken setzen, sondern die auch für mehr Transparenz sorgen, ist seither unüberhörbar geworden.

Lobbyismus ist kein Privileg der Wirtschaft

Wenn in der Öffentlichkeit von Lobbyismus die Rede ist, wird sofort an die Spitzenverbände der Wirtschaft, politiknahe Büros von grossen Unternehmen, professionelle Interessenvertreter, spezialisierte Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen gedacht. Dagegen werden die Gewerkschaften und Konsumentenorganisationen eher als «gute» Lobbyisten wahrgenommen, weil sie sich angeblich für das Allgemeinwohl und nicht für partikuläre Interessen einsetzen. Kaum je wird aber an die Verwaltung gedacht, von der entweder direkt oder im Auftrag des Parlaments die meisten Regulierungsmassnahmen ausgehen.

Der 2005 verstorbene renommierte Staatsrechtler Kurt Eichenberger, der lange Jahre an der Universität Basel lehrte, hat schon früh von der Verwaltung als vierter Gewalt im Bund gesprochen. Er wollte damit nicht nur die auf Montesquieu zurückgehende Vorstellung den veränderten Verhältnissen anpassen, wonach die Gesetzgebungsmacht bei unabhängigen und bestens informierten Abgeordneten liege, sondern vor allem die Bedeutung der Exekutive im heutigen politischen System in den richtigen Fokus rücken.

Die Stellung der Verwaltung im Gesetzgebungsverfahren

Im Idealfall erarbeitet die Verwaltung dank ihrem Expertenwissen und dem Informationsvorsprung die Gesetzesentwürfe für die Regierung und richtet ihr Handeln stets am Gemeinwohl aus. Die neue politische Ökonomie hat dieses Bild allerdings längst revidiert und gezeigt, dass die Akteure im politischen Betrieb (Bundesämter, Beamte) durchaus auch ihre eigene Agenda und ihre eigenen Interessen verfolgen. Dabei schafft die Verwaltung faktisch mehr und mehr Regeln, die sie später selbst auszuführen hat. Zu denken ist etwa an die Regulierungskaskade im Finanzsektor, wo die Finma Regulator und Aufpasser zugleich ist. Böse Zungen sprechen sogar davon, dass der Bundesrat der Briefträger der Verwaltung sei.

Im realistischeren Fall des Gesetzgebungsverfahrens ist die Verwaltung für die kompetente Vorbereitung von Gesetzesvorlagen häufig auf externes Sachwissen angewiesen. Diese Situation ist vor allem bei komplexen technischen oder wissenschaftlichen Themen gegeben. Deshalb muss in einer umfassenden Bewertung berücksichtigt werden, dass eine Verbreiterung der Wissens- und Informationsbasis über den Lobbyismus durchaus im Interesse einer qualitativ hochstehenden Rechtsetzung liegt. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die von einer Regelung betroffenen Wirtschaftskreise bei der Gesetzgebung mitunter selbst Hand anlegen (im Fachjargon «regulatory capture» genannt). Im Weitern stärkt der Lobbyismus das Parlament gegenüber der Verwaltung. Schliesslich gehört zu einer offenen Gesellschaft auch der Wettbewerb der Meinungen und Interessen. Dieser ist deshalb in ethischer Hinsicht für so prominente Philosophen wie Bertrand Russell und John Rawls ein positives Werkzeug – wenn er mit den geeigneten Regeln versehen ist (Christoph Lütge: Ethik des Wettbewerbs, München 2014).

Den Regulierungseifer bremsen

Während der Lobbyismus über Standesregeln, Lobbyregister, die Offenlegung von Interessenbindungen usw. unter Kontrolle gebracht werden soll, gibt es gegenüber den Regulierungsaktivitäten der Verwaltung bisher keine Waffen. Die 1999 eingeführten ex-ante Regulierungsfolgenabschätzungen erwiesen sich als wirkungslos, weil die Verwaltung sich und ihre Regulierungen selbst überprüft. Nur so sind etwa in jüngster Zeit die Entstehung des Krankenversicherungs-Aufsichtsgesetz, das zu einem Gesetzesmoloch zu werden droht, und das kürzlich in die Vernehmlassung geschickte Gleichstellungsgesetz mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Lohnanalyse erklärbar. Die Verwaltung kann sich in diesen Fällen nicht mehr einfach hinter dem Totschlagargument verstecken, es gehe um die Übernahme internationaler Standards.

Auf diese Weise hat die Schweiz in den letzten Jahren nicht nur laufend Standortvorteile preisgegeben, sondern auch das von der Verfassung eigentlich vorgesehene Prinzip der Wirtschaftsfreiheit missachtet. Weil es in der Schweiz keinen Rechtsschutz für die Verfassung gibt, müsste eigentlich vor allem die Exekutive ein besonderes Sensorium für die Grundordnung unseres Landes haben. Für den bekannten Staatsrechtler Rainer Schweizer von der Universität St. Gallen liegt die Verluderung des Ordnungsdenkens gerade darin, dass sich die Verwaltung, der Bundesrat und das Parlament vor keiner Instanz verantworten müssen («Finanz und Wirtschaft» 26.9.2015). Deshalb ist die Eindämmung der Regulierungsdichte für Avenir Suisse ein zentrales Thema, geht es doch letztlich darum, die Praxis der Marktwirtschaft zu erhalten und zu stärken.