Die Verflechtungen zwischen der Schweiz und der EU in der Aviatik sind intensiv. Drei Viertel des Schwei­zer Flugverkehrs gehen in die EU oder kommen von dort. Solche Flüge kön­nen nur durchgeführt werden, wenn die beteiligten Staaten entsprechende Überflug-, Start- und Landerechte er­teilen, beziehungsweise über bilaterale Luftverkehrsabkommen austauschen.

Auch bei der Kontrolle des nationa­len Luftraums sind die Abhängigkei­ten gross, da ein Verkehrsflugzeug le­diglich 15 bis 30 Minuten benötigt, um die Schweiz zu überqueren. Dies macht Kooperation beim Luftraum­management erforderlich. Die Zusam­menarbeit ist so eng, dass die Flugsi­cherung des süddeutschen Luftraums – über den die An- und Abflüge am Flughafen Zürich erfolgen – durch die Schweizer Sky-Guide durchge­führt wird. Zudem gehört die Fluglinie Swiss einer EU-Muttergesellschaft und ist fest in deren Streckennetz integriert. Das Drehkreuz Zürich und seine In­terkontinentalflüge profitieren von Transferpassagieren des Lufthansa- Konzerns. Ausserdem liegen alle drei Landesflughäfen in Grenznähe.

Die­sen Abhängigkeiten trägt das Luftver­kehrsabkommen Schweiz-EU Rech­nung. Als Teil der Bilateralen Verträge I ist es durch die Guillotinenklausel mit dem Abkommen zur Personen­freizügigkeit verknüpft. Das Luftver­kehrsabkommen trat 2002 in Kraft – ein knappes Jahr nach dem Swissair- Grounding. Die Schweiz übernimmt wichtige Elemente der europäischen Gesetzgebung und wird in den libe­ralisierten europäischen Binnenmarkt für Luftverkehr integriert.

Die Bilateralen sind für den Schweizer Flugverkehr wichtig | Avenir Suisse

Der wirtschaftliche Kern des Luft­fahrtabkommens war eine gegensei­tige Marktöffnung für die Fluglinien der beteiligten Länder. Dies umfasst ein Nichtdiskriminierungsverbot von Fluglinien auf Basis ihrer Nationalität sowie sämtliche «Freiheiten der Luft», mit Ausnahme von reinen Inlandflü­gen. Gleichzeitig sichert das Abkom­men Luftfahrtfirmen die Niederlas­sungs- und Investitionsfreiheit zu. Grenzüberschreitende Beteiligungen – wie der Kauf der Swiss durch die Luft­hansa – sind also erlaubt.

Die Schweiz übernahm auch weitere Elemente der EU-Gesetzgebung. 2002 wurde der Markt für Bodenabferti­gungsdienste an Schweizer Flughäfen teilliberalisiert und die entsprechen­de EU-Richtlinie in nationales Recht übertragen. 2005 wurde die EU-Ver­ordnung zur Slot-Vergabe auf Flug­häfen von der Schweiz umgesetzt, um intransparente und diskriminierende Vergabepraktiken zu unterbinden. Zu­dem wurde die Schweiz in den Single European Sky integriert. Dies erhöht die Kapazitäten, reduziert die Kos­ten für die Flugsicherung und erhöht die Sicherheit im stark frequentierten Himmel über Mitteleuropa.

Der Flughafen Zürich braucht die Bilateralen

Das Bilaterale Luftverkehrsabkom­men integrierte die Schweiz in den EU-Binnenmarkt für den Sektor und brachte eine umfassende Marktöff­nung. Dies legte die Basis für einen Wiederaufstieg der Schweizer Aviatik nach dem Swissair-Grounding. Davon profitierte der nationale Hubflugha­fen Zürich, denn die Hälfte des Passa­gier- und drei Viertel des Frachtauf­kommens im Schweizer Luftverkehr werden hier abgewickelt. Der Flug­hafen ist nicht nur eine Cash-Cow für den Kanton Zürich, sondern auch ein zentraler Wachstums-, Investitions-und Beschäftigungsmotor für das gesamte Land.

Entsprechend viel zu verlieren hätten der Standort Schweiz und auch die regionale Wirtschaft im Grossraum Zürich im Falle einer Aufkündigung der Bilateralen I. Die ele­mentare Drehkreuzfunktion der Swiss ist doppelt fragil: zum einen wegen der Abhängigkeit der Swiss von den Ent­scheiden der Konzernmutter Lufthan­sa, zum andern wegen der Flugrechte von und zu europäischen Destinati­onen. Gleichzeitig ist das Drehkreuz von grosser Bedeutung für Schweizer Exporteure, internationale Unternehmenszentralen und die Schweizer Tourismuswirtschaft. Somit illustriert der Luftfahrt­sektor die weitreichenden Implikatio­nen, die europapolitische Entscheide auch für die Wirtschaftsstruk­turen in der Schweiz haben – und ha­ben könnten.

Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» im Februar 2016.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Avenir-Suisse-Publikation «Bilateralismus – was sonst?».