Die Schweiz befand sich bisher nicht im Brennpunkt der aktuellen Flüchtlingskrise. Der Hauptstrom der Menschen zog weiter östlich gegen Norden. Dies kann sich – abhängig von den Massnahmen der aktuellen Durchgangsländer und der Lage in den Herkunftsländern der Flüchtenden – schlagartig ändern. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass uns die kommenden Monate und Jahre mit wesentlich mehr Flüchtlingen konfrontieren könnten. Damit stellt sich einmal mehr die Frage der Eingliederung, denn es ist vollkommen klar, dass die Entstehung von «Banlieues» und Parallelgesellschaften verhindert werden muss. Eine solche Entwicklung würde nicht nur die Akzeptanz für weitere Zuwanderung auf Dauer untergraben, sie wäre auch innenpolitisch riskant.

Tradition als Einwanderungsland

Verschiedene Facetten des Ausländerthemas beherrschen seit Jahren die politische Agenda der Schweiz. Angesichts aufgeregter Debatten verschwinden die positiven Fakten aber leicht aus dem Blickfeld. Vergessen geht vor allem, dass sich die Schweiz in einer sehr vorteilhaften Ausgangsposition befindet, was die Integration von Ausländerinnen und Ausländern betrifft. Das Land hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass es ausserordentliche Integrationsleistungen vollbringen kann. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Schweiz – gemessen an ihrer Grösse – mehr Einwanderer aufgenommen hat als jedes einigermassen grosse Land in Europa und überdies mehr als klassische Einwanderungsländer wie Kanada und Australien.

Fast 30% der Bevölkerung wurden nicht in der Schweiz geboren und – noch bemerkenswerter – 48% der Einwohner haben mindestens einen Elternteil, der im Ausland zur Welt kam. Trotzdem kam es nicht zur Ghettoisierung, der Grad der Durchmischung – sowohl räumlich als auch sozial – ist hoch. Die Kinder der südeuropäischen Immigranten der 1960er Jahre bekleiden heute vielfach verantwortungsvolle Positionen in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft, und auch die Einwanderer der 1990er Jahre aus den Balkanländern sind gut integriert.

Anteil der im Ausland geborenen Einwohner

Arbeitsmarktchancen selbst mit bescheidenen Qualifikationen

Selbstverständlich unterscheiden sich die erwähnten Migrantengruppen stark. Während die Südeuropäer der 1960er Jahre und die Nord- und Westeuropäer der 2000er Jahre wegen der hiesigen Arbeitskräfteknappheit kamen (Pull-Migration), fliehen die heutigen Flüchtlinge vor Konflikten oder wirtschaftlicher Not (Push-Migration).

Auch wenn die Motive für die Wanderung zunehmend verschwimmen, gilt für beide Gruppen das gleiche, im Grunde sehr einfache Rezept für eine erfolgreiche Integration: Der Schlüssel ist der Arbeitsmarkt mit dem ihm vorgelagerten Bildungssystem. Der offene Arbeitsmarkt erleichterte es neuen Arbeitskräften, einen Job zu finden und diesen zu wechseln (so man sie liess), selbst wenn sie nur über bescheidene Qualifikationen verfügten.

Flankierende Massnahmen überdenken

In diesem Sinn muss die gegenwärtige Tendenz, den Arbeitsmarkt der unteren Qualifikationen mehr zu regulieren und zu kontrollieren, als kontraproduktiv bezeichnet werden. Besonders das Vordringen von branchenspezifischen Mindestlöhnen im Rahmen von allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen wird das Angebot an Tieflohnjobs reduzieren. Zusätzliche Stellen können dann nur über ein stärkeres Wirtschaftswachstum entstehen, das die Verteuerung durch Mindestlöhne ausgleicht. Bleibt dieses aus, wird auf den Ruf nach staatlichen Beschäftigungs- und Integrationsprogrammen nicht lange zu warten sein. Selbst die OECD, die Arbeitsmarktregulierungen sonst nicht besonders abgeneigt ist, erkennt einen Zielkonflikt zwischen der Mindestlohnpolitik und der Integration schlecht qualifizierter Flüchtlinge. Vor dem Hintergrund anschwellender Flüchtlingsstrome sollte die heutige Arbeitsmarktpolitik unter dem Titel «flankierende Massnahmen» überdacht werden. Falls nötig, würden die Empfänger von tiefen Löhnen besser über Subjekthilfen unterstützt als über das Drehen der Lohnschraube.

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