Was macht eine liberale Sozialpolitik aus? Erstens beruht sie auf dem Grundsatz der Subsidiarität, hilft also nur dort aus, wo untere Ebenen über­fordert sind. Zweitens bedeutet sie nicht, Unter­schiede einzuebnen: Es gibt zwar Argumente für Umverteilung, weil zu grosse Unterschiede eine Gesellschaft tatsächlich auseinanderbrechen lassen können; aber diese Art von Umverteilung sollte man nicht Sozialpolitik nennen. Drittens müssen Versicherungsprinzip und Transferzahlungen sau­ber getrennt sein: Die AHV führt zwar den Namen «Versicherung», ist aber vor allem eine grossartige Umverteilungsmaschinerie. Besonders bei der Al­tersvorsorge gehört zu einer liberalen Sozialpolitik auch, dass sie die heutigen Probleme nicht zulas­ten künftiger Generationen löst. Das wäre nicht nur unliberal, sondern auch unsozial. Der Ausdruck «Generationenvertrag» ist in diesem Zusammen­hang ein irreführender Marketingtrick. Dieser Ver­trag wurde nämlich von der jüngeren Generation, die dabei die Verliererin ist, nie unterschrieben. Auf Dauer kann auch die Politik nicht die ökono­mische Schwerkraft überwinden. Eine wirklich li­berale Sozialpolitik mag sich auch in der Schweiz nicht durchsetzen lassen. Aber es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, den Idealzustand, der für Sozialisten ein anderer ist als für Liberale, zu benennen und anzustreben. Wir können zum Schluss kommen: Wir möchten gerne dorthin, aber wir schaffen es nicht, weil wir keine Mehrheiten finden und froh sind, wenigstens den halbbatzigen Kompromiss zu erreichen. Nur sollten wir eine Politik der sozialen Sicherung, die viel mit Umverteilung und wenig mit Liberalität zu tun hat, nicht liberal nennen.

Dieser Artikel erschien in der Juni-Ausgabe von «SozialAktuell» (06/2011)