Für das siebte Kantonsmonitoring von Avenir Suisse hat Senior Fellow Jérôme Cosandey die kantonalen Organisationen in der Alterspflege, deren Kostenstrukturen und Finanzierungsmodelle basierend auf Interviews mit den kantonalen Amtsvorstehern sowie konsolidiertem Zahlenmaterial durchleuchtet. Wie schon der Titel besagt, fordert der Autor «neue Massstäbe für die Alterspflege», und er zeigt auf, wo die Kantone – ganz im Sinne des föderalistischen Systemwettbewerbs – voneinander lernen könnten.

Eine ganzheitliche Sicht auf die Organisation

Unterschiedliche Kulturen und Wertvorstellungen führen in einem föderalistischen System naturgemäss zu grossen Unterschieden bei der Organisation der Alterspflege. So haben die Kantone der Romandie weniger Heimbetten pro 80+, dafür aber überdurchschnittlich viel Spitex-Personal. Mehr Personalressourcen in Spitex-Organisation alleine gehen allerdings nicht zwingend mit einer Reduktion der Anzahl Betten in Pflegeinstitutionen einher. Zusätzliche Angebote können schlichtweg die Nachfrage generell ankurbeln.

Spitex ist auch nicht immer die günstigste Lösung in der Alterspflege. Je nach Setting werden ab 60 Minuten Tagespflege Patienten in einem Heim kostengünstiger betreut als zu Hause, weil das Fachpersonal besser nach seinen Kompetenzen eingesetzt wird und unproduktive Reisezeiten entfallen. Anderseits liegt der Anteil an Pflegeheimbewohnern, die weniger als 60 Minuten pro Tag oder gar keine Pflege benötigen, im Schweizer Durchschnitt bei 30%, in manchen Kantonen sogar deutlich darüber. Für alle diese Senioren könnte eine Spitex-Betreuung oder eine Tagesstruktur in Frage kommen. Bessere Informationen über die verschiedenen Pflegeangebote – kombiniert mit einem Ausbau ambulanter Angebote – würden helfen, leichtpflegebedürftige Personen zu Hause, in Einrichtungen des betreuten Wohnens oder in Tagestrukturen, die Schwerpflegebedürftigen hingegen in Heimen zu pflegen. Es braucht also eine Strategie des «ambulant mit stationär» statt «vor stationär».

Extreme Kostenabweichungen

Drei Viertel der Kosten sind Personalausgaben – entsprechend stark fallen diese ins Gewicht. Zwischen den Kantonen bestehen grosse Unterschiede in Dotationen, Löhnen und Ausbildungsvorgaben für das Personal. Interessant ist, dass hohe Lohnkosten bei weitem nicht allein vom ortsüblichen Lohngefüge abhängig sind, sondern auch von der Verhandlungsstärke der jeweiligen Sozialpartner beeinflusst werden. So liegen die Lohnkosten des Pflegepersonals pro Vollzeitstelle im (teuren) Kanton Genf zwar 38% über dem Schweizer Durchschnitt, im (ebenfalls teuren) Kanton Zürich jedoch «nur» 7% darüber, während sie im Kanton Basel-Stadt ungefähr dem Schweizer Durchschnitt entsprechen.

Im Kampf um gute Fachkräfte spielt die Flexibilität bei der Personalsuche eine wichtige Rolle. Einige Kantone machen keine Vorgaben zum Ausbildungsniveau des Pflegepersonals. Dennoch liegt dort der effektive Anteil von hochqualifizierten Mitarbeitern im Schweizer Mittel und höher. Zusätzlich erleichtert auch die Bildung von integrierten Anbietern (Spitex, Tagesstrukturen und Pflegeheime) die Personalsuche, besonders in dünnbesiedelten Randregionen.

Eklatante Unterschiede lassen sich auch bei den Sachkosten ausmachen: Während sie im Schweizer Durchschnitt bei 25’000 Fr. pro Bett und Jahr liegen, sind sie im Kanton Basel-Stadt mit 33’000 Fr. am höchsten und im Kanton Appenzell Innerrhoden mit 11’000 Fr. am tiefsten.

Die Analyse der Versorgungsstrukturen und ihrer Kostentreiber in den Kantonen zeigt auf, dass jährlich 1.9 Mrd. Fr. eingespart werden könnten, wenn die Alterspflege-Organisationen in allen Kantonen mindestens so effizient arbeiten würden wie im Schweizer Durchschnitt.

Transparentere Finanzierung

Die Realisierung des Sparpotenzials und die Umsetzung der Strategie «ambulant mit stationär» rufen nach neuen, flexiblen Finanzierungsregeln. Die Finanzierungsbeiträge der öffentlichen Hand für  Spitex-Organisationen oder für Pflegeheime sollen sich allein an den erbrachten Leistungen orientieren und sich nicht nach der Kostenstruktur der Leistungserbringer richten. Kostenbasierte Regelungen eliminieren Sparanreize, weil eine höhere Effizienz zu einer Reduktion der Staatsbeiträge führt.

Im ambulanten Bereich (Spitex) sollte die Versorgungspflicht – die Pflicht, jeden Pflegebedürftigen unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen zu behandeln – separat und transparent abgegolten werden. Am besten werden dafür Leistungsaufträge ausgeschrieben, wie das im Kanton Solothurn vereinzelt bereits der Fall ist.

Bei allen Optimierungsmöglichkeiten wird die Finanzierung der Alterspflege eine Herausforderung bleiben. Als langfristige Lösung schlägt Avenir Suisse ein obligatorisches individuelles Pflegekapital für die Finanzierung der Alterspflege vor. Die angesparten Mittel wären für Pflege oder Betreuung – zu Hause oder im Heim – einsetzbar. Nicht verwendete Ersparnisse würden im Todesfall vererbt. Das honoriert die Unterstützung der Angehörigen, motiviert zum schonenden Umgang mit Ressourcen und stärkt die Eigenverantwortung.

Zusatzinformationen für die Regionen

Die kantonalen Unterschiede in der Alterspflege sind erheblich – selbst innerhalb vergleichbarer Regionen. Nachfolgend finden Sie spezielle Auswertungen für einzelne Wirtschaftsräume: 

_ Zentralschweiz

_ Nordwestschweiz

_ Ostschweiz und Fürstentum Liechtenstein

_ Ballungszentren (D) / Agglomérations urbaines (F)

_ Westschweiz und Tessin (D) /  / Svizzera occidentale e Ticino (I)

Video: Die drei Facetten der Alterspflege

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