Seit Annahme der Alpeninitiative im Jahr 1994 bemüht sich die Schweiz, den alpenquerenden Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern – etwa durch Einführung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und dem Bau der Neat. Das Ergebnis blieb mässig: Der Anteil der Bahn am Transitverkehr reduzierte sich sogar von 74 Prozent (1994) auf 68 Prozent (2014). Viele Experten erwarten auch nach der Eröffnung des Gotthardbasistunnels zunächst keine nennenswerte Verlagerung auf die Schiene.

Das wäre eine enttäuschende Bilanz angesichts der gigantischen Investitionen. Die Gesamtkosten für den Ausbau der Lötschberg- und Gotthardachsen werden einschliesslich des voraussichtlich 2020 fertig gestellten Ceneri-Basistunnels auf 24 Milliarden Franken veranschlagt. Es gibt zwei strukturelle Gründe, warum dieser milliardenschwere Mitteleinsatz der Schweiz derzeit noch geringe Wirkung auf das innerschweizerische wie auch europäisch-kontinentale Verkehrssystem entfaltet.

Ausbau der Zufahrtsstrecken

Ein Grund sind die fehlenden Anschlüsse in den Nachbarländern. Daran ist nun verstärkt zu arbeiten. Italien hat bis 2021 einen Ausbau der drei wichtigsten Zufahrtsstrecken zugesichert. Bis dahin sollen auch auf Schweizer Seite die baulichen Voraussetzungen für den Vier-Meter-Korridor geschaffen werden, der den Transport von Lastwagenanhängern für den Kombiverkehr ermöglicht. In Deutschland hat der Ausbau der 180 Kilometer langen Rheintalstrecke Karlsruhe- Basel erst begonnen.

Aber es gibt noch ein zweites strukturelles Problem: Die Verlagerung auf die Schiene kann nur gelingen, wenn die Transportketten entlang des europäischen Korridors zwischen Rotterdam und Genua reibungslos funktionieren. Im Wettbewerb mit der Strasse hat der Güterverkehr auf der Schiene nämlich einen gravierenden Nachteil: Die erste und die letzte Meile des Transports erfolgt mit dem Lastwagen, was zusätzliche Kosten und Reibungsverluste verursacht.

Güterzug am Nordportal des Gotthardbasistunnels. (Bild AlpTransit Gotthard AG)

Güterzug am Nordportal des Gotthardbasistunnels. (Bild AlpTransit Gotthard AG)

Der Transfer Strasse-Schiene erfolgt an speziellen Verlade-Terminals, die in ausreichender Zahl entlang des Korridors verteilt sein müssen. Es müssen entsprechende Trassenkapazitäten bereitgestellt und Zugkompositionen mit kompatiblem Rollmaterial geplant werden. Ein Güterzug zwischen Italien und den Niederlanden nutzt die Schienennetze von vier nationalen Eisenbahngesellschaften. Einige davon sind traditionelle Staatsbetriebe, die von ihrer Unternehmenskultur, ihren Arbeitsprozessen und ihren IT-Systemen den Anforderungen einer modernen Logistik nicht hinreichend gewachsen sind.

Es fehlt eine kompetente Instanz

Im Kombiverkehr gibt es also zahlreiche Schnittstellen, die noch nicht richtig funktionieren. Immerhin wurde der Schienenkorridor Rhein-Alpen von der EU als eine der sechs zentralen Verkehrsachsen in Europa definiert. Er geniesst damit Priorität bei der Zuteilung von Investitionsmitteln. Zudem gibt es eine Arbeitsgruppe zwischen den Verkehrsministerien der vier beteiligten Länder und sporadische Korridorkonferenzen. Diese Gremien dienen der Koordination, aber ihre Mittel sind begrenzt.

Was fehlt, ist eine kompetente Instanz, die konkrete Massnahmen zur Optimierung der Transportketten vorantreibt. Die Schweiz hat als Transitland ein vitales Interesse daran, diese Lücke zu füllen. Dies könnte durch die folgenden drei – sich ergänzenden – Institutionen erfolgen:

  1. Eine schweizerische Einheit für Transit- und Korridorlogistik auf Bundesebene zur technischen, politischen und administrativen Koordination entlang des Alpen-Rhein-Korridors.
  2. Eine internationale Task-Force für das Management des Korridors, besetzt mit Experten aus den beteiligten Ländern, die zentrale Projekte zur Transportketten-Optimierung identifiziert und koordiniert.
  3. Ein Kompetenzzentrum für den Kombiverkehr Strasse-Schiene an einer unserer führenden Hochschulen zur Erarbeitung technischer Analysen und Strategien.

Die Neat kostet die Schweiz einen zweistelligen Milliardenbetrag. Damit sich dies wirtschaftlich und verkehrstechnisch auszahlt, bedarf es auch entsprechender institutioneller Kapazitäten und Kompetenzen. Die Kosten dafür bewegen sich im Promillebereich von jenen der Neat-Bauten.

Es ist fahrlässig, sich für 24 Milliarden Franken infrastrukturelle Hardware anzuschaffen, ohne gleichzeitig in die für den Betrieb nötige Software zu investieren. Genau dies war aber die bisherige Strategie in der Verlagerungspolitik. Das muss sich dringend ändern.

Dieser Text ist in der Rubrik «Der externe Standpunkt» in der NZZ am Sonntag vom 5. Juni 2016 erschienen.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.