Sommer: Wärmere Temperaturen und Hauptreisezeit für viele. Flughäfen verzeichneten Rekordtage der Passagierabfertigung, die Blechlawine vor dem Gotthard war wieder einmal gross. Ein idealer Zeitpunkt, um sich einige grundsätzliche Gedanken zur Klimapolitik der Schweiz zu machen. Die wichtigste Grundlage der Schweizer Klimapolitik ist das CO2-Gesetz von 2011. Mit den daraus abgeleiteten Massnahmen will die Schweiz ihren internationalen Klimaverpflichtungen, der Senkung der CO2 Emissionen bis 2020 um 20% gegenüber 1990, nachkommen.

Hohe Schweizer CO2-Produktion im Ausland

Im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt ist die Schweiz bereits heute klimafreundlicher unterwegs als andere Länder. Der jährliche Pro-Kopf-Ausstoss von CO2 liegt rund 0.2 Tonnen unter dem internationalen Durchschnitt. Natürlich vernachlässigt dieses Ergebnis, dass unser Lebensstandard stark vom internationalen Handel abhängt. Knapp zwei Drittel des Schweizer «CO2-Konsums» werden gemäss Berechnungen des World Trade Instituts (WTI) der Universität Bern gar nicht in der Schweiz ausgestossen. In einem iPhone 6S beispielsweise stecken rund 64 kg CO2, die insbesondere in Asien emittiert werden. Bei Berücksichtigung des internationalen Handels relativiert sich die «gute» Position der Schweiz, und der CO2-Ausstoss pro Kopf und Jahr verdoppelt sich auf 12 Tonnen.

Handkehrum ist es dem CO2 und der Umwelt auch egal, wo auf der Welt das Treibhausgas eingespart wird. Ob beim Schweizer Autofahrer oder beim chinesischen Industriebetrieb: Der Effekt auf das Klima ist derselbe. Trotzdem fokussiert der Bund bei seiner Klimapolitik auf das Inland. So sind etwa die CO2-Einsparungen aus dem Gebäudeprogramm teuer erkauft. Modellrechnungen gehen von über 200 Franken Kosten für eine Tonne kompensiertes CO2 aus. Mit gleichem finanziellem Aufwand könnte man im Ausland wesentlich mehr CO2 einsparen und damit dem Klima einen besseren Dienst erweisen.

Planwirtschaftliche Flottensteuerung

Die meisten Treibhausgasemissionen (31%) verursacht in der Schweiz der Verkehr. Zur Erreichung der internationalen Klimaziele kommen aktuell zwei Instrumente zum Einsatz: Erstens werden Treibstoffemissionen durch eine Belastung der Importeure fossiler Treibstoffe teilkompensiert (entspricht maximal 10% der CO2-Emissionen). Zweitens sollen die CO2-Emissionen bei neuen Personenwagen bis Ende 2020 auf höchstens 95 Gramm CO2/km reduziert werden.

Nimmt man den gesamten Lebenszyklus als Basis, muss ein neues Auto aber nicht zwingend umweltfreundlicher sein als ein älteres. Wird ein älteres, aber immer noch fahrtüchtiges Fahrzeug verschrottet und ein neues produziert, sind die Umwelteinwirkungen trotz weniger CO2 pro gefahrenem Kilometer insgesamt wohl negativer, als wenn man das ältere Auto weiterbetrieben hätte. Ausserdem besteht ein Mengeneffekt. Gibt es viel mehr, aber insgesamt effizientere Fahrzeuge, steigt die CO2-Belastung oft stärker an, als durch die Technologie eingespart werden kann.

Unelastische Nachfrage nach Treibstoffen

Nicht umgesetzt hat der Bundesrat bisher eine CO2-Steuer auf Treibstoffen (im Gegensatz zu Brennstoffen). Der Effekt wäre ohnehin eher gering, denn die Nachfrage reagiert nur wenig auf eine Preisänderung. Studien mit Datenreihen von 1971 bis 2008 wiesen nach: Steigt der Benzinpreis in der Schweiz um 10%, nimmt die Nachfrage um 0.9% ab. Nur sehr langfristig ergeben sich Substitutionseffekte und die Abnahme beträgt 3.4%. Die jüngere Vergangenheit liefert dafür Anhaltspunkte. Die Preiserhöhung von Treibstoff der letzten 20 Jahre hatte keinen messbaren Einfluss auf die Anzahl der gefahrenen Kilometer pro Kopf (vgl. Grafik). Natürlich spielen auch technologische Aspekte eine Rolle, wie der höhere Wirkungsgrad von Benzinmotoren. Jedoch wirkt sich dieser Effekt nur schrittweise aus, da jedes Jahr lediglich ein Teil des Fahrzeugbestandes durch Neuwagen ersetzt wird.

Einigen Kreisen ist allerdings das Verkehrswachstum an sich ein Dorn im Auge. Sie fordern deshalb, dass die Preiserhöhung nur genügend hoch sein müsse, beispielsweise 5 Franken pro Liter, um einen Lenkungseffekt zu erreichen. Lenkung verstanden als Verkehrsminderung, begründet jedoch mit klimapolitischen Überlegungen. Die daraus resultierenden potenziellen ökonomischen Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen.

Sommerzeit ist Reisezeit_670px

Klimapolitik ohne Selbstgeisselung

Dass wirksame Klimapolitik nicht mit überbordenden Kosten und Einschränkungen einhergehen muss, lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren: Der CO2-Ausstoss des gesamten schweizerischen Autoverkehrs könnte mit einem Benzinpreisaufschlag von maximal 7 Rappen pro Liter kompensiert werden. Weit weniger als die oft propagierten Aufschläge von 3 Franken und mehr. Wie ist das möglich? Rechnen wir kurz nach.

Gemäss des Bundesamts für Umwelt und des Branchenverbands Auto Schweiz emittierten neue, mit Treibstoff betriebene Personenwagen im Jahr 2015 durchschnittlich 136.2 Gramm CO2 pro km bei einem Verbrauch von 5.88 l/100 km. In früheren Jahren waren beide Werte selbstredend höher, das Verhältnis von CO2-Ausstoss und Verbrauch bleibt aber über die Zeit gesehen relativ konstant. Mit anderen Worten emittiert ein Auto pro verbrauchten Liter Benzin immer etwa gleich viel CO2 – eigentlich eine physikalisch triviale Einsicht. Nimmt man die erwähnten Verhältnisse als Grundlage, ergibt sich ein Verbrauch von rund 432 Litern zur Emission einer Tonne CO2 (432 Liter wiegen natürlich weniger als eine Tonne; das restliche Gewicht stammt vom Sauerstoff, welcher für die chemische Reaktion zur Energiegewinnung notwendig ist).

Wenn, dann CO2-Fussabdruck der Schweiz im Ausland reduzieren

Das Recht zur Emission einer Tonne CO2, zum Beispiel bei der Produktion von Strom aus Kohle, kostet rund 7 Franken. Da wir aber explizit an den Kosten für eine vollständige Kompensation des CO2 aus dem Verkehr interessiert sind, basieren wir unsere Berechnung auf dem Zertifikatspreis der Stiftung myclimate. Für die (freiwillige) Kompensation einer Tonne CO2 im Ausland zahlt man aktuell 29 Franken, eine rein inländische Kompensation ist rund dreimal so teuer. Übernommen auf die berechneten Liter Treibstoff pro Tonne des Treibhausgases ergibt dies aufgerundet die erwähnten 7 Rappen pro Liter.

Man mag einwenden, dass auch 7 Rappen pro Liter eine Belastung darstellen. Ein Blick auf die Schwankungen des (monatlich gemittelten) Benzinpreises in der Schweiz über die letzten drei Jahre zeigt aber, dass 7 Rappen wenig sind angesichts einer durchschnittlichen Abweichung des Benzinpreises von 16 Rappen. Zwischen dem Höchst- und dem Tiefstpreis liegt gar eine Bandbreite von 49 Rappen (Werte für Bleifrei 95 gemäss Bundesamt für Statistik). Dazu kommt: 7 Rappen sind die Obergrenze. Eine Teilkompensation im Sinne der internationalen Verpflichtungen, kombiniert mit dem Kauf von Emissionsrechten (aktuell 7 Franken pro Tonne CO2 auf dem Energiemarkt), würde den «Preis» wohl unter die Rappengrenze drücken.

Klimapolitik von anderen Kampffeldern loslösen

Gewisse politische Kreise verteufeln Kompensationsmassnahmen als modernen Ablasshandel. Doch der Vergleich hinkt: War der Ablass in früheren Zeiten eine unsichere Wette auf die Vermeidung von Höllenqualen, hat die CO2-Kompensation sichere Effekte. Darüber hinaus mag man aus «ethischen» Gründen der Ansicht sein, dass die Schweiz ihr CO2 aus dem Verkehr selbst zu kompensieren habe, ohne im Ausland einen «Ablass» zu erkaufen. Doch mindestens folgende drei Gründe sprechen dagegen:

Erstens kann das «ethische» Argument der inländischen Kompensation auch umgedreht werden. Falls gemäss dieser Sichtweise das CO2 dort kompensiert werden sollte, wo es auch anfällt, hätte dies konsequenterweise auch zur Folge, dass die zwei Drittel des Schweizer «CO2-Konsums» der im Ausland emittiert wird, auch dort kompensiert werden müsste. Der zu einem Fetisch verkommene Fokus auf eine Kompensation von CO2 im Inland mutet vor diesem Hintergrund grotesk an.

Zweitens sollte CO2 dort kompensiert werden, wo es ökonomisch am effizientesten gemacht werden kann. In einem derart technologisierten Land wie der Schweiz sind die Kosten für die Reduktion einer zusätzlichen Tonne CO2 im Vergleich zu vielen anderen Ländern hoch. Dies liegt daran, dass sich unsere hochentwickelte Volkswirtschaft ständig an der «Technology Frontier» bewegt. So ist eine Firma in der Schweiz gezwungen, technologisch ständig auf dem neusten Stand zu bleiben, um konkurrenzfähig produzieren zu können. Klassische Massenherstellung lohnt sich aufgrund der hohen Standortkosten kaum. Nur sind eben die Grenzkosten für die CO2-Vermeidung an dieser «Technology Frontier» besonders hoch und entsprechend in weniger entwickelten Volkswirtschaften viel tiefer. Mit weniger Geld liesse sich im Ausland also der gleiche CO2-Spareffekt erzielen wie in der Schweiz.

Drittens ist es selbstverständlich, dass die Schweiz diverse Güter nicht selbst produziert, sondern aus Ländern bezieht, die in deren Herstellung einen komparativen Vorteil besitzen (z.B. Smartphones aus dem asiatischen Raum). Dieses Prinzip ist einer der wichtigsten Ursachen unseres Wohlstands und sollte auch für das Gut «CO2-Einsparung» gelten.

Gute Umweltpolitik sollte möglichst effektiv und effizient sein und eine (umweltpolitische) Massnahme eigentlich immer nur ein spezifisches Ziel verfolgen. Obiges Beispiel zeigt, dass dies losgelöst von ideologischen Scheuklappen nicht a priori mit überbordenden Kosten verbunden sein muss. Dies bedingt allerdings einer Betrachtung unter Ausschluss anderer Kampffelder. In der Schweiz betrifft dies typischerweise den motorisierten Individualverkehr. So zielen Vorschläge, welche eine Vervielfachung des Benzinpreises fordern, eigentlich darauf ab, Verkehr zu vermindern. Dafür mag es Gründe geben, die Klimapolitik gehört aber nicht automatisch mit dazu.

Eine Kurzfassung dieses Textes ist am 19. August 2016 unter dem Titel «Fünfliber für Liter Benzin nützt nichts» in der «Aargauer Zeitung» erschienen.