Sie brauchen den Vergleich mit der männlichen Konkurrenz nicht zu scheuen – im Gegenteil. Trotzdem sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt in verschiedenster Hinsicht benachteiligt. Dies ist umso erstaunlicher, als der Druck auf Unternehmen und Politik steigt, dem Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt durch eine bessere Ausschöpfung des Frauenpotenzials zu begegnen. Die naheliegende Forderung wird allerdings erst zum Teil umgesetzt. «Was ist zu tun, um der Chancengleichheit eine Chance zu geben?», fragte Iris Bohnet an einer Podiumsveranstaltung von Avenir Suisse und der Müller-Möhl-Foundation.

Der Kampf gegen Stereotypen

Mit Hinweis auf die Präsidentschaftswahlen in den USA, wo die Schweizerin an der Harvard Kennedy School lehrt, zeigte die Verhaltensökonomin auf, dass erfolgreiche Frauen unserem Stereotyp von Weiblichkeit nicht entsprechen. Wenn Howard und Heidi dasselbe perfekt tun, bewundern wir Howard – und mögen Heidi nicht. Wie wir uns vor solchen emotionalen Täuschungen schützen können, zeigt Bohnet in ihrem neuen Buch «What Works»* detailliert auf. Im Zürcher Zunfthaus zur Saffran demonstrierte sie die Funktionsweise von Vorurteilen an wenigen Beispielen höchst eindrücklich. Für Rekrutierungsprozesse und Beförderungsverfahren geht es darum, solche Täuschungen bewusst zu unterdrücken und durch geschickte Strategien auszuschalten – zum Beispiel mit strukturierten statt unstrukturierten Gesprächen. Ähnliches gilt für Fotos in Bewerbungsschreiben: Es sei erwiesen, dass ein Passbild eine sehr schlechte Vorhersage über die Eignung einer Person für eine bestimmte Aufgabe abgebe.

Im Unterschied zum Bereich der Human Ressources haben Marketingfachleute solche Erkenntnisse längst verinnerlicht, sagt Bohnet und illustriert dies anhand eines Beispiels von Coca Cola: Nachdem man herausgefunden habe, dass der Begriff «Diät» in «Diet Coke» nur Frauen anspreche, lancierte man «Coke Zero» mit einem männlich geprägten Markenimage. Nicht zuletzt in ihrer Funktion als Vertreterin der Wirtschaft – die Bohnet als Verwaltungsrätin der Credit Suisse Group auch ist – plädierte sie dafür, Erkenntnisse aus dem Marketing im Personalbereich zu nutzen. Sie forderte, die Spielregeln bei der Einstellung, der Beförderung und der täglichen Arbeit mit einfachen Kniffs anzupassen. Dadurch liessen sich grosse Effekte zu tiefen Kosten für die Gleichstellung von Mann und Frau erzielen.

Komplementäre Antworten

Marco Salvi, Senior Fellow bei Avenir Suisse, hat komplementäre Gründe für die ungleichen Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt gefunden und in einer Publikation zur Gleichstellung** analysiert. Während Bohnet die Hürden in unseren Köpfen ortete, betonte Salvi die fiskalischen, institutionellen und regulatorischen Hürden. Er wandte sich schalkhaft gegen einen «paternalistischen Feminismus», der sich in einer vorgefassten Meinung darüber äussert, wie die Verteilung der Löhne oder der Berufe nach Geschlecht auszusehen hat – unabhängig davon, wie die Präferenzen der Frauen, Männer (und der Paare) sind. Er stellte fest, dass Karriere und folglich Lohnpfade genau dann divergieren würden, wenn Kinder ins Spiel kommen. Dies nicht zuletzt, weil zeitliche und örtliche Flexibilität, lange Arbeitstage und fehlende Agenda-Hoheit vom Arbeitsmarkt überproportional honoriert würden  – alles Dinge, die mit Familienleben schlecht vereinbar sind.

Heute verbliebene Lohndifferenzen lassen sich vorwiegend auf gesellschaftlich eingeübte Gepflogenheiten und Wertvorstellungen zurückführen, die schon bei der Berufswahl und dann in der Aufteilung der Erziehungsarbeit in der Familie zum Tragen kommen. Deshalb gelte es, allzu einfache Schuldzuweisungen zu meiden. So gebe es in der Arbeitswelt heute kaum mehr explizite geschlechtsspezifische Lohnabschläge. Die sogenannt «unerklärbaren Unterschiede» zwischen den Salären von Mann und Frau lassen sich laut Salvi sehr wohl erklären – etwa durch längere Unterbrüche in der Laufbahn oder mangelnde Flexibilität. Es gelte, «Gleiches mit Gleichem» zu vergleichen.

«Low hanging fruit»

In der von Nadine Jürgensen geleiteten Podiumsdiskussion zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten Iris Bohnet und Marco Salvi unter anderem über Frauenquoten und Elternurlaube, wie sie derzeit als Zaubermittel gegen Diskriminierung propagiert werden. Die Referenten warnten davor, sich allzu viel davon zu versprechen. Solche Massnahmen könnten zwar mithelfen, die Bilder in den Köpfen der Menschen zu verändern, räumte Iris Bohnet ein, anderseits schadeten sie den Firmen (und möglicherweise sogar den Frauen).

Auch Marco Salvi zeigte sich gegenüber dem Instrument des Elternurlaubes offen, aber wenig optimistisch: Ausgerechnet in nordischen Ländern, die einen erweiterten Elternurlaub kennen, gebe es eine überdurchschnittliche berufliche Segregation der Geschlechter. Es habe sich gezeigt, dass es mehrheitlich Frauen seien, die den Elternurlaub in Anspruch nehmen – und genau dies bremse wiederum ihre Karrieren. Immerhin: Über das Ziel der Chancengleichheit für Mann und Frau herrschte im mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik prominent besetzten Publikum Konsens, wie Co-Gastgeberin Carolina Müller-Möhl zum Schluss feststellen durfte. Es gibt «low hanging fruit», bereit zum Pflücken. Jetzt gilt es nur noch zuzugreifen.

*Iris Bohnet: «What Works. Gender Equalitiy by Design». Harvard University Press, 2016.

**Marco Salvi et al.: «Gleichstellung. Warum der Arbeitsmarkt nicht versagt», Avenir Suisse 2015.